Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

ASERBAIDSCHAN – ARMENIEN

Eine Konfliktanalyse um Bergkarabach aus friedenspädagogischer Sicht

Konfliktanalysen - Arbeitsanregungen

Eine Konfliktanalyse ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu verstehen und Friedensstrategien zu entwickeln. Um vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Konfliktanalysen in der praktischen Bildungsarbeit, ob in der Schule oder auch außerschulisch, eingesetzt werden können, hat die Servicestelle Friedensbildung drei unterschiedliche Anregungen mit konkreten Aufgaben zum Einsatz der Konfliktanalysen entwickelt. Diese haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt:

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Konfliktanalysen - Lernposter

Wie kann man einen bewaffneten Konflikt oder Krieg mit einem Fokus auf Frieden analysieren? Mithilfe von Leitfragen, die vom Team der Servicestelle Friedensbildung entwickelt wurden, wird es erleichtert, einen tieferen Einblick in Konfliktsituationen zu gewinnen. Diese Leitfragen werden auf einem Lernposter in Illustrationen präsentiert, die dazu anregen, verschiedene Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung anzuwenden. Sie laden dazu ein, vielfältige bestehende und mögliche Friedenspotenziale zu erforschen und zusammenzutragen. Das Poster hier zum Download:

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Wo? – Konfliktregion

Die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan liegen in der gebirgigen Kaukasusregion zwischen Asien und Europa. Im flächenmäßig kleineren Armenien leben rund 3 Millionen Einwohner:innen, in Aserbaidschan 10 Millionen. Die umstrittene Region Bergkarabach wird mehrheitlich von Armenier:innen bewohnt. Bergkarabach ist eine De-facto-Republik, die von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird, völkerrechtlich gehört das Gebiet zu Aserbaidschan.

Wer? – Konfliktparteien

In dem über 30-jährigen Konflikt um die Region Bergkarabach stehen sich die Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan gegenüber. Unterstützung findet Armenien hauptsächlich in Russland, das Unterstützung in Form von militärischer Aufrüstung vornehmlich Armenien zugute kommen lässt. Strategischer Partner Aserbaidschans ist die Türkei, welche ihre Interessen und ihren Einfluss in der Region geltend machen möchte.

Wann? – Zeittafel

1987/1988: Die gewaltsame Auseinandersetzung mit Vertreibungen und Massakern an der Zivilbevölkerung beginnt in Armenien und breitet sich nach Aserbaidschan aus.

1991/1992: Unabhängigkeitserklärungen durch Armenien und Aserbaidschan, Zerfall der Sowjetunion. Unabhängigkeitserklärung durch Bergkarabach als autonome Region, nachfolgend gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan.

1994 Waffenstillstandsabkommen: Bergkarabach wird durch seine Autonomie-Behörde mit Unterstützung durch Armenien regiert. Weitere sieben angrenzende, vormals aserbaidschanische Distrikte werden durch Armenien besetzt, Vertreibung von Aserbaidschaner:innen aus der Region Bergkarabach und den genannten Distrikten.

2016: Vier-Tage-Krieg im April, militärische Landgewinne in einzelnen Distrikten durch Aserbaidschan, ca. 100 Todesopfer.  

2020: Krieg mit ca. 7600 Toten von September bis November: Aserbaidschan erobert viele Distrikte aus 1994 zurück und bringt strategische Positionen sowie historisch wichtige Orte Bergkarabachs unter Kontrolle. Waffenstillstandabkommen durch Vermittlung Russlands und Stationierung von ca. 2000 russischen „Peace-Keepern“ und Rückgabe weiterer Distrikte an Aserbaidschan.

2021/22: Neuerliche Auseinandersetzungen

2023: Die Europäische Union leitet eine zivile Mission in Armenien ein (EU-Mission in Armenien/EUMA), die zur Stabilität in den Grenzgebieten Armeniens beitragen soll.

Wie? – Mittel der Konfliktaustragung

Der Konflikt um Bergkarabach dauert bereits mehrere Jahrzehnte an. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es von 1988 bis zum Waffenstillstandsabkommen 1994 wiederholt zu kriegerischen Auseinandersetzungen sowie Massakern zwischen Soldat:innen aus Armenien und Aserbaidschan, die die Vertreibung der Zivilbevölkerung zur Folge hatten. Der Konflikt wurde lange als „eingefroren“ beschrieben, bis 2020 die erneuten kriegerischen Auseinandersetzungen ausbrachen.

Die Türkei und Aserbaidschan sind strategische Partner, Aserbaidschan kauft militärische Güter von der Türkei. Russland lieferte in der Vergangenheit Waffen an beide Länder und nimmt keine eindeutige Position ein. Seit der Unabhängigkeit Bergkarabach hat Russland aber vornehmlich Armenien bei der militärischen Aufrüstung unterstützt. Es gibt eine Militärbasis Russlands in Armenien und armenische Militärs werden von der russischen Armee ausgebildet. Seit den Auseinandersetzungen bis 1994 haben Armenien und Aserbaidschan sich im Laufe der Jahre wiederholt einer Kriegsrhetorik gegenüber der anderen Konfliktpartei bedient und befinden sie sich in einem militärischen Wettrüsten. 2020 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit mehr als 7600 Todsopfern

In diesem Zusammenhang eroberte Aserbaidschan einige der umstrittenen Gebiete in Bergkarabach. Dieser Gebietsgewinn stellte die Regierung in Baku jedoch nicht zufrieden. Vereinbarte Waffenruhen wurden im Sommer 2021 und im Frühjahr 2022 wiederholt gebrochen, auch eine von Russland stationierte Friedensmission konnte die Lage nicht stabilisieren. Die in der Region Bergkarabach lebende armenische Bevölkerung ist seitdem von lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, Medikamenten und Waren abgeschnitten, da Aserbaidschan die Lieferungen blockierte. Erst im September 2023 glückten Verhandlungen zur Wiederaufnahme von Hilfslieferungen.

Im September 2023 begann Aserbaidschan eine weitere Offensive in der Region, mit dem Ziel, die vollständige Kontrolle über die Region zu gewinnen. Bei dieser Auseinandersetzung sind mehr als 200 Menschen gestorben, und Tausende versuchten nach Armenien zu fliehen. Aserbaidschan erklärte sich selbst zum Sieger dieses Konflikts. In Folge dessen verließ die überwiegende Mehrheit der armenischen Bevölkerung bis zum Eintreffen einer UN-Mission die Region. Ende September stimmte der armenische Präsident der Auflösung der selbsterklärten armenischen Republik Bergkarabach zum 1. Januar 2024 zu.

Warum? – Erklärungen für den Konflikt

Anspruch auf das Territorium Bergkarabachs (machtbasierter Erklärungsansatz)

Kern des Konflikts ist die Uneinigkeit über den Status der Region Bergkarabach, auf die beide Länder einen Anspruch erheben bzw. im Falle von Armenien eine Unabhängigkeit fordern. Die Region Bergkarabach hatte während der Sowjetunion einen Autonomiestatus innerhalb der Sozialistischen Sowjetrepublik (SSR) Aserbaidschan. Aktuell leben nur ethnische Armenier:innen in Bergkarabach.
Der Konflikt in der Region des Südkaukasus befindet sich außerdem im Spannungsgebiet konkurrierender Einflusssphären. Die Interessen und der Einfluss anderer Länder im Konflikt, vorrangig der Türkei auf der Seite Aserbaidschans und die Rolle Russlands als Unterstützer von Armenien, haben erheblichen Einfluss auf den Konflikt und seine Entwicklung.

Kulturelle Identitäten und Othering (kultureller Erklärungsansatz)

Aufgrund der kulturellen und historischen Bedeutung des Gebiets für die Konfliktparteien und der Dauer des Konflikts, ist dieser eng mit den Identitätskonstruktionen und nationalen Identitäten beider Länder verwoben. Dabei werden in öffentlichen Reden entweder Armenien oder Aserbaidschan als Aggressor und Bedrohung für die eigene Bevölkerung dargestellt.

Friedenspotenziale

Welche Friedensbemühungen gibt es bereits?

Staatlich

Russland nimmt im Konflikt aktuell eine dominante Rolle als Mediator ein. Der Waffenstillstandsvertrag von 2020 wurde durch Russland vermittelt und anschließend wurden russische „peace keeping“ Truppen in Bergkarabach stationiert.

International

Frühere Vermittlungsversuche im Rahmen der OSZE Minsk Gruppe durch verstärkte Unterstützung aus Frankreich, den USA und Russland waren nicht erfolgreich. Seit dem Ende des Krieges in 2020 hat vor allem die Europäische Union die Initiative als Mediatorin ergriffen.

Zivilgesellschaftlich

Es gibt zivilgesellschaftliche Initiativen wie “Women Mediators of South Caucasus“ oder Projekte im Bereich Friedensjournalismus. Jedoch sind die Spielräume für zivilgesellschaftliche Initiativen und Austausch zwischen den Zivilgesellschaften begrenzt und eingeschränkt.
Die Berghof Foundation führt ein Projekt durch zur „Erinnerung und Geschichte als Basis für die soziale Versöhnung für die vom Bergkarabach-Konflikt betroffenen Menschen“. Es zielt darauf ab, durch die Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit in beiden Gesellschaften, mehr Räume für Friedensförderung zu schaffen.

 

Welche Friedensansätze werden diskutiert?

  • Kontinuierliche diplomatische Bemühungen im Rahmen der OSZE-Minsk Group
     
  • Zivilgesellschaftliche Initiativen engagieren sich vor Ort, haben aber nur beschränkte Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen
     
  • Nach dem Krieg 2020 stehen Bemühungen von internationalen Organisationen, wie dem Roten Kreuz, im Bereich der Humanitären Hilfe und der Versorgung der Zivilbevölkerung im Vordergrund, vor allem an der sogenannten Kontaktlinie.

 

Konfliktzwiebeln

Konfliktpartei: Armenien

Positionen
-    Bergkarabach hat historische und kulturelle Verbindung zu Armenien
-    Bergkarabach ist Teil von Armenien oder unabhängig
-    Forderung nach Selbstbestimmungsrecht der Völker

Interessen
-    Zugang und Kontrolle über historisch bedeutende Gebiete
-    Fortbestand der armenischen Nation

Bedürfnisse
-    Sicherheit
-    Schutz
-    (kulturelle) Anerkennung

 

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Armenien (ausgefüllt)

Konfliktpartei: Aserbaidschan

Positionen
-    Bergkarabach hat historische und kulturelle Verbindung zu Aserbaidschan
-    Bergkarabach ist Teil von Aserbaidschan
-    Bergkarabach besitzt territoriale Integrität

Interessen
-    Zugang und Kontrolle über historisch bedeutende Gebiete
-    Machterhalt

Bedürfnisse
-    Sicherheit
-    Schutz
-    (kulturelle) Anerkennung

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Aserbaidschan (ausgefüllt)

Konfliktbaum

Konfliktbaum Aserbaidschan und Armenien

Effekte und Auswirkungen
-    kollektives, transgenerationales Trauma
-    nur sehr begrenzter Raum für Austausch zwischen Zivilgesellschaften
-    humanitärer Notstand in Bergkarabach
-    Hassrede, nationalistische Narrative, Feindbildkonstruktionen
-    Situation von Vertriebenen in Armenien und Aserbaidschan
-    Flucht und Vertreibung

Kernproblem: Konflikt über Zugehörigkeit des Gebiets von Bergkarabach

Konfliktursachen
-    historische und kulturelle Bedeutung der Region für Konfliktparteien
-    Südkaukasus als Feld der Machtpolitik zwischen Russland und der EU, Rolle der Türkei, Iran, Israel
-    innenpolitische Relevanz für Machterhalt, Self-Other Konstruktionen, Schaffung von Feindbildern
-    wechselnde Bevölkerungsstrukturen und Vertreibung

Arbeitsblatt Konfliktbaum (leer)

Arbeitsblatt Konfliktbaum Aserbaidschan (ausgefüllt)

 


 

Literatur und Quellen

  • Crisis Group (2005a): Nagorno-Karabakh: A Plan for Peace, Europe Report N°167, Tbilisi/Brussels.
  • Crisis Group (2005b): Nagorno-Karabakh: Viewing the Conflict from the ground, Europe Report N°166, Tbilisi/Brussels.
  • Crisis Group (2017): Nagorno-Karabakh’s Gathering War Clouds, Europe Report N°244, Yerevan/Baku/Stepanakert/Brussels/Vienna.
  • Crisis Group (2021): Post-war Prospects for Nagorno-Karabakh, Europe Report N°264, Yerevan/Stepanakert/Baku/Tbilisi/Moscow/Istanbul/Brussels.
  • LpB Baden-Württemberg: Bergkarabach-Konflikt
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Konfliktporträt Bergkarabach

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