Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

JEMEN

Eine Konfliktanalyse aus friedenspädagogischer Sicht

Konfliktanalysen - Arbeitsanregungen

Eine Konfliktanalyse ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu verstehen und Friedensstrategien zu entwickeln. Um vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Konfliktanalysen in der praktischen Bildungsarbeit, ob in der Schule oder auch außerschulisch, eingesetzt werden können, hat die Servicestelle Friedensbildung drei unterschiedliche Anregungen mit konkreten Aufgaben zum Einsatz der Konfliktanalysen entwickelt. Diese haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt:

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Konfliktanalysen - Lernposter

Wie kann man einen bewaffneten Konflikt oder Krieg mit einem Fokus auf Frieden analysieren? Mithilfe von Leitfragen, die vom Team der Servicestelle Friedensbildung entwickelt wurden, wird es erleichtert, einen tieferen Einblick in Konfliktsituationen zu gewinnen. Diese Leitfragen werden auf einem Lernposter in Illustrationen präsentiert, die dazu anregen, verschiedene Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung anzuwenden. Sie laden dazu ein, vielfältige bestehende und mögliche Friedenspotenziale zu erforschen und zusammenzutragen. Das Poster hier zum Download:

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Wo? – Konfliktregion

Die Republik Jemen ist ein Staat in Vorderasien und liegt im Süden der Arabischen Halbinsel. Im Jahr 1990 vereinigten sich die zwei früheren Staaten Jemenitische Arabische Republik (Hauptstadt Sanaa) und Demokratische Volksrepublik Jemen (Südosten, Hauptstadt Aden) zum heutigen Staat. Der Jemen ist flächenmäßig etwas größer als Deutschland, hat aber nur rund 30 Millionen Einwohner:innen.

Wer? – Konfliktparteien

Internationalisierter Bürgerkrieg

Innerstaatliche Parteien:

  • International anerkannte Regierung (Präsidialrat, der seit dem Rücktritt von Präsident Abdrabbuh Mansour Hadi im April 2022 regiert)
  •  Huthi-Bewegung

Internationale Parteien:

  • Anti-Huthi-Koalition: Saudi-Arabien (S-A) und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) als wichtigste Akteure. (Zeitweise) unterstützt durch die Vereinigten Staaten (USA), Großbritannien (GB) und Frankreich.
  • Unterstützer der Huthis: Iran (Dieser ist allerdings nicht im selben Maße involviert wie die direkt intervenierenden Unterstützenden der Gegenseite).

 

Wann? – Zeittafel

1978–2012: Herrschaft von Ali Abdullah Saleh und seiner Partei, dem Allgemeinen Volkskongress (AG)

2011–2014: Proteste gegen die Regierung, Sturz des Präsidenten Ali Abdullah Saleh, Beginn eines Nationalen Dialog- und Übergangsprozesses

2014/2015: Beginn des Bürgerkrieges nach Scheitern der Übergangsgespräche und Einnahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthis; Eingriff der Anti-Huthi-Koalition unter Saudi-Arabien im März 2015

2022:  Nach jahrelangem Bürgerkrieg Einigung auf einen zweimonatigen Waffenstillstand zu Beginn des Fastenmonats Ramadan (April) und Verlängerung im Juni um weitere zwei Monate. 

2023: Beginn von Verhandlungen in Sanaa zwischen Vertreter:innen der Huthis und einer Delegation aus Saudi Arabien. Möglich wurden diese durch zuvor unter UN-Vermittlung vereinbarte Gefangenaustausche sowie durch Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran.

Wie? – Mittel der Konfliktaustragung

Neben der direkten militärischen Konfrontation greifen die Huthis mittels Raketen und Drohnen immer wieder Ziele, wie z.B. Ölförderanlagen und Flughäfen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten an. In den von ihnen kontrollierten Gebieten wird den Huthis vorgeworfen, repressive Maßnahmen einzusetzen und keine Opposition zu dulden.

Die Anti-Huthi Koalition bombardiert Huthi-Gebiete aus der Luft. Dabei gibt es immer wieder Berichte über Angriffe auf zivile Ziele, wie z.B. Krankenhäuser. Zudem sind Soldat:innen der Koalition am Boden im Einsatz. Darüber hinaus finanziert sie verschiedene militärische Kräfte und bildet diese aus, darunter einige Milizen, die offiziell der international anerkannten Regierung unterstehen. Außerdem beschränkt sie den Zugang zu Häfen und Flughäfen unter Kontrolle der Huthis. Z.B. war der Flughafen in Sanaa lange Zeit für kommerzielle Flüge gesperrt und wurde erst im Zuge des Waffenstillstands im Frühjahr 2022 in begrenztem Umfang wieder geöffnet. Der Zugang zum Hafen von Al-Hudaida wird von der Koalition kontrolliert und immer wieder stark eingeschränkt.

Warum? – Erklärungen für den Konflikt

Religiöse und kulturelle Identitäten (kultureller Erklärungsansatz)

Die zaiditische Bewegung der Huthis wird 1992 ins Leben gerufen. Zaidit:innen gehören innerhalb des Islams zur Gruppe der Schiit:innen. Ein Merkmal ihrer Ideologie ist die Ansicht, dass nur Personen herrschen sollten, die als direkte Nachfahren des Propheten Mohammed gelten. Die Huthi-Bewegung richtet sich gegen den wachsenden Einfluss des von Saudi-Arabiens geförderten Salafismus (sunnitische Strömung) in ihrer Heimatprovinz Sa’daa und gegen Korruption in der Regierung.
Ihre Hauptgegner:innen sind sunnitisch-konservative und extremistische Kräfte, die u.a. von Saudie-Arabien unterstützt werden. Die Identität von Saudi-Arabien und der Saud-Familie basiert auf ihrer Rolle als Hüter:innen der heiligen Stätten in Mekka und Medina und auf der Förderung einer bestimmten Auslegung des Islams in der Welt. Diese wird als unvereinbar mit den Ansichten der Zaidit:innen wahrgenommen. Die innerjemenitische Spaltungen zwischen Nord und Süd basieren nicht nur auf religiösen, sondern auch auf sprachlichen Unterschieden. Historisch gewachsene Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen tragen zum Konflikt bei. Die Entscheidung Saudi-Arabiens 2015 in den Konflikt zu intervenieren, wird jedoch nicht nur religiös, sondern auch geopolitisch erklärt und zwar durch das Ziel, iranischen Einflusses in der Region einzudämmen.

Ressourcenkonkurrenz (ökonomischer Erklärungsansatz)

Die Herrschaft von Ali Abdullah Saleh, der zuerst den Nord-Jemen von 1978 bis 1990 und dann den vereinigten Jemen von 1990 bis 2012 regiert, stützt sich auf ein Patronagesystem, in dem wichtige Gruppen und Personen, Ressourcen aus Steuereinnahmen, Entwicklungszusammenarbeit und später Ölförderung im Gegenzug für politische Unterstützung erhalten. Seit 2006 geht jedoch die geförderte Ölmenge zurück, sodass es in diesem System weniger Ressourcen zu verteilen gibt. Viele Gruppen sehen sich daher von der Regierung benachteiligt. So wird dann auch die Huthi-Bewegung zu einem Sammelbecken jenseits religiöser Überzeugung für viele Menschen im Norden des Jemen, die sich von der Saleh-Regierung ungerecht behandelt fühlen. Der Krieg seit 2014 hat die Einkommenssituation vieler Jemenit:innen noch weiter verschlechtert. Kriminalität oder der Dienst für eine der Konfliktparteien sind einige der wenigen Einkommensquellen.

Politische Macht und Einfluss (machtbasierter Erklärungsansatz)

Nachdem im Zuge der Aufstände von 2011 Präsident Saleh viele Unterstützer:innen verliert (auch Saudi-Arabien und die anderen Golf-Staaten drängten auf seinen Rücktritt), tritt er zurück und übergibt die Regierungsgeschäfte an seinen Vize-Präsidenten Hadi. Er und sein Kabinett stellen fortan die international anerkannte Regierung (diese sollte nach einer erfolgreichen Beendigung der Gespräche, zu der es nie kam, eigentlich durch Wahlen abgelöst werden) und beteiligen sich am Übergangsprozess von 2011 bis 2014 , in dem eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen involviert sind.  Unter anderem kommt es immer wieder zu politischen Morden an führenden Huthi-Persönlichkeiten. Ein entscheidender Faktor für das Scheitern war die beschlossene Grenzziehung bei der Unterteilung Jemens in sechs Regionen, die keinen Meerzugang für jene Region vorsah, in der die Huthis dominant gewesen wären.

Die Huthis wollen die Macht übernehmen, indem sie im September 2014 die Hauptstadt Sanaa erobern, wodurch der Übergangsprozess unterbrochen wird. Als Reaktion darauf greift die von Saudi-Arabien geführte Koalition im März 2015 ein, als die Huthi-Bewegung kurz davorsteht, Aden einzunehmen und den Konflikt für sich zu entscheiden. Es geht Saudi-Arabien vor allem darum, den Einfluss Irans in der Region einzudämmen. Dies ist auch ein Hauptmotiv der arabischen und westlichen Unterstützer Saudi-Arabiens. Es geht um die Macht im Staat Jemen und um die Macht in der Region.

Friedenspotenziale

Welche Friedensbemühungen gibt es bereits?

Begleitet durch die Mediation der UN verabschieden die Huthis und die international anerkannte Regierung 2018 nach Verhandlungen in Schweden das Stockholm-Abkommen. Sie einigen sich auf einen Waffenstillstand in der Hafenstadt Al-Hudaida und die Öffnung des Hafens für humanitäre Güter. Das Abkommen hat die Kampfhandlungen rund um Al-Hudaida stark reduziert. Weitere Aspekte des Abkommens werden allerdings nur ansatzweise oder gar nicht umgesetzt. Seit 2020 verlagern sich Kampfhandlungen in die ölreiche Provinz Marib. Der humanitäre Zugang bleibt weiterhin stark eingeschränkt. Saudi-Arabien und Iran haben durch die Vermittlung Omans bisher vier Verhandlungsrunden in Bagdad abgehalten. Neben anderen Themen geht es dort auch um den Jemen. Im März 2022 kommen diese Verhandlungen jedoch zum Erliegen. US-Präsident Biden hat die Unterstützung für Saudi-Arabien im Gegensatz zu seinem Vorgänger Trump deutlich verringert und übt Druck aus, um eine friedliche Lösung zu finden. Am 7. April 2022 verkündet Präsident Hadi seinen Rücktritt und überträgt seine Macht an einen Präsidialrat, der aus Vertreter:innen aller politisch und militärisch relevanten Parteien der Anti-Huthi-Koalition besteht. Dabei entmachtet er u.a. auch den Vize-Präsidenten und bedeutenden Militär-Kommandeur Ali Mohsen al-Ahmar, der bei den Huthis aufgrund seines Vorgehens in den Sa’daa Kriegen auf starke Ablehnung stößt. Zudem wird sich auf einen zweimonatigen Waffenstillstand geeinigt, der im Juni nochmals verlängert wird.

Der Raum für zivilgesellschaftliche (v.a. nationale) Konfliktlösungen ist stark eingeschränkt und risikoreich. Es gibt dennoch zahlreiche kleine, lokale Organisationen, die sich mit den örtlichen kulturellen Gegebenheiten auskennen und lokale Konfliktlösungsmechanismen entwickeln. Sie sind in ihrem Einfluss auf internationale Kräfte jedoch beschränkt. Internationale Nichtregierungsorganisationen wie die Berghof Foundation arbeiten an der Unterstützung eines inklusiven Dialogs auf der regionalen, nationalen und lokalen Ebene ein, da sich die Konflikttreiber auf all diesen Ebenen befinden.

Welche Friedensansätze werden diskutiert?

UN-Frauen, ein Organ der Vereinten Nationen, betont das Potential, welches weibliche Mediatorinnen und Verhandlerinnen besitzen und, dass dieses gefördert werden sollte. Vor allem über den Bereich der humanitären Hilfe könnten Mediation und Verhandlung gestartet und seitens gut ausgebildeter Frauen durchgeführt werden. In ländlicheren Gegenden, in denen traditionelles Recht sehr dominant ist, könnten Frauen besser mit der Gegenseite verhandeln, ohne derselben Gefahr ausgesetzt zu sein wie Männer. Außerdem hätten sie besseren Zugang zu den Familien von Opfern und könnten so Racheakten besser vorbeugen.

Konfliktzwiebeln

Konfliktpartei: Erst Hadi-Regierung/ dann Präsidialrat und Unterstützer:innen

Positionen
-    Kontrolle über alle militärischen Kräfte und zivilen Institutionen
-    10-15% der Sitze für Huthis im neuen Parlament
-    Die „drei Initiativen" sollen implementiert werden
Interessen
-    politische und territoriale Eindämmung der Huthis und des Irans
-    einige: demokratischer Jemen
-    Machterhalt und Zugang zu Ressourcen
Bedürfnisse
-    Identität als Verteidiger:innen "des" Islams
-    Sicherheit

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Hadi-Regierung/Präsidialrat (ausgefüllt)

Konfliktpartei: Huthi-Bewegung

Positionen
-    Es braucht innerjemenitische Gespräche ohne Einmischung fremder Kräfte
-    Es muss umfassenden Plan zur Neugestaltung des Jemen geben
-    Luft-, See- und Landblockaden müssen aufgehoben werden
Interessen
-    Handlungsmacht gegenüber Regierung und Saudi-Koalition aufrechterhalten
-    Zugang zu Einkommen
-    keine Marginalisierung des Zaidit:innentums
-    (Mit-) Bestimmung bei politischer Gestaltung des Jemen
Bedürfnisse
-    Ausleben der Religion
-    Wohlergehen und Sicherheit

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Huthi-Bewegung (ausgefüllt)

Konfliktbaum

Konfliktbaum Jemen

Effekte und Auswirkungen

-    Hungersnot
-    Tote
-    schlechte Gesundheitsvorsorge
-    bewaffnete Auseinandersetzungen
-    Kriminalität
-    mehrere Millionen (Binnen-)geflüchtete
-    schlechter Zugang für humanitäre Akteur:innen
-    Abwertung der Währung und Verlust von Einkommensquellen

Kernproblem: Schaffung eines alle Akteur:innen inkludierenden politischen Systems ohne Sicherheitsrisiko für Golf-Staaten

Konfliktursachen

-    verschiedene religiöse Überzeugungen
-    mangelnde Aufarbeitung historischer Konflikte
-    begrenzte Ressourcen zur Verteilung an politische Akteur:innen bzw. das Patronage-System

(vgl. Fisher et al., 2000: 29)

Arbeitsblatt Konfliktbaum (leer)

Arbeitsblatt Konfliktbaum Jemen (ausgefüllt)

 


 

Literatur und Quellen

Karten

  • Karte 1: Landkarte Jemen. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.
  • Karte 2: Lagekarte Jemen. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021
  • Karte 3: Jemen. Kartographie: mr-kartographie, Gotha Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de | Bundeszentrale für politische Bildung 2021

 

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