Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

KENIA

Eine Konfliktanalyse aus friedenspädagogischer Sicht

Konfliktanalysen - Arbeitsanregungen

Eine Konfliktanalyse ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu verstehen und Friedensstrategien zu entwickeln. Um vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Konfliktanalysen in der praktischen Bildungsarbeit, ob in der Schule oder auch außerschulisch, eingesetzt werden können, hat die Servicestelle Friedensbildung drei unterschiedliche Anregungen mit konkreten Aufgaben zum Einsatz der Konfliktanalysen entwickelt. Diese haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt:

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Konfliktanalysen - Lernposter

Wie kann man einen bewaffneten Konflikt oder Krieg mit einem Fokus auf Frieden analysieren? Mithilfe von Leitfragen, die vom Team der Servicestelle Friedensbildung entwickelt wurden, wird es erleichtert, einen tieferen Einblick in Konfliktsituationen zu gewinnen. Diese Leitfragen werden auf einem Lernposter in Illustrationen präsentiert, die dazu anregen, verschiedene Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung anzuwenden. Sie laden dazu ein, vielfältige bestehende und mögliche Friedenspotenziale zu erforschen und zusammenzutragen. Das Poster hier zum Download:

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Wo? – Konfliktregion

Kenia ist ein Staat im Osten Afrikas und flächenmäßig ungefähr doppelt so groß wie Deutschland. In Kenia leben gut 50 Millionen Menschen, die mehr als 40 ethnischen Gruppen angehören und alle ihre eigenen Sprachen sprechen. Die Volksgruppen der Borana und Gabbra sind im Norden Kenias ansässig.

Wer? – Konfliktparteien

Im Norden Kenias findet ein innerstaatlicher Konflikt zwischen der Gemeinschaft der Borana und der Gemeinschaft der Gabbra statt.

Die Gemeinschaft der Borona sind eine Untergruppe des Oromo-Volkes. Ihre Gesamtzahl wird auf etwa 4 Millionen geschätzt, Die meisten leben jedoch im Süden Äthiopiens, nur etwa 150.000–175.000 im Osten Kenias. Traditionell sind die Borona Rinderzüchter, wobei heutzutage manche auch Schafe, Ziegen oder auch Kamele halten sowie Ackerbau betreiben.

Die benachbarte Gemeinschaft der Gabbra sind neben Kenia ebenfalls auch in Südäthiopien ansässig. Auch sie sind Teil des Oromo-Volkes. Ihre Gesamtzahl ist jedoch wesentlich geringer, bei der Volkszählung 2009 wurden in Kenia rund 90.000 Gabbra gezählt.Traditionell leben sie als Kamelnomaden.

Wann? – Zeittafel

Folgen der Kolonialzeit: Zuteilung von Weidezonen ethnischer Gruppen durch die Kolonialverwaltung

12. Juli 2005: Massaker von Turbi

Juli 2009: Dukana-Dillo-Maikona (DDM) Friedensabkommen

März 2013: Erneuter Ausbruch offener Gewalt im Zuge der allgemeinen Parlamentswahlen

2017: Überarbeitung und erneute Unterzeichnung des Dukana-Dillo-Maikona Friedensabkommen

Wie? – Mittel der Konfliktaustragung

Zwischen der Gemeinschaft der Borana und der Gemeinschaft der Gabbra kommt es seit Jahrzehnten immer wieder zu sporadischen konfliktiven Zusammenstößen und größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die gewaltsame Konfliktaustragung erfolgt dabei in Form von gegenseitigen Viehdiebstählen, Versperren des Zugangs zu Wasser und Weideflächen sowie gegenseitigen Tötungen von Mitgliedern durch Kleinwaffen. Im Jahr 2005 kam es nach Viehdiebstählen und Tötungsdelikten zu erhöhten Spannungen zwischen den Gemeinschaften, welche in einem Angriff der Borana gegen die Gabbra in Turbi gipfelten und über 70 Menschenleben forderten. Auch der Wahl im Jahr 2013 vorausgegangene Spannungen führten zu einem erneuten Ausbruch von Gewalt, nachdem das politische Bündnis „REGABU“ (bestehend aus Angehörigen der Rendille, Gabbra und Burji im County Marsabit) alle Sitze der Bezirksregierung gewann.

Warum? – Erklärungen für den Konflikt

Ressourcenkonkurrenz (ökonomischer Erklärungsansatz)

Zwischen den Borana und Gabbra kommt es immer wieder aufgrund von gegenseitig wahrgenommener Ungleichheit und ökologischen Einflüssen zu Konflikten um den Zugang und die Kontrolle von Ressourcen. Begründen lässt sich das zum einen durch die Fremdeinteilung in Weidezonen nach Zugehörigkeit zur jeweiligen ethnischen Gruppe während der Kolonialzeit, was die traditionelle Ökologie der Gemeinschaften störte. Zum anderen wird der Konflikt durch die drastischen ökologischen Veränderungen der letzten Jahre verschärft. Durch Dürreperioden und wenig Niederschlag sind die Borana und die Gabbra auf Weidegebiete angewiesen, die andere Gruppen für sich beanspruchen. Dies bedroht v.a. die Gabbra, die überwiegend im trockeneren Tiefland leben, im Gegensatz zu den Borana, welche hauptsächlich an den Berghängen des Marsabit-Gebirges und damit in fruchtbareren Regionen leben. Dadurch kommt es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Auseinandersetzungen über Viehbestand, Weideflächen, Zugang zu Wasserstellen und wirtschaftlichen Ressourcen.

Strukturelle Bedingungen (machtbasierter Erklärungsansatz)

Durch das zunehmendes Bevölkerungswachstum werden die Konflikte um natürliche Ressourcen verschärft. Zudem erfolgt eine Verstärkung der Konflikte aufgrund von Folgen aus der Kolonialzeit und der Zeit danach (Festlegung von Weidezonen, Neufestlegung der Grenzen, neue politische Maßnahmen wie Dezentralisierung, Ausweisung von Nationalparks und Wildtierreservaten), welche teilweise im Widerspruch zu den traditionellen Ansätzen der Gabbra und Borana stehen. Zudem wird durch den fortschreitenden Klimawandel und anthropogene Aktivitäten die Tragfähigkeit des Bodens und die Verfügbarkeit von Wasser- und Weideressourcen verringert, was ebenfalls zu einer Verstärkung des Konflikts und zu ungünstigen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Borana und den Gabbra führt.

Kampf um Politische Dominanz (machtbasierter Erklärungsansatz)

Mit der Einführung der Dezentralisierung in Kenia durch die neue Verfassung im Jahr 2010 bestand eine neue Möglichkeit der politischen Partizipation und Macht im Bezirk Marsabit. Über lange Zeit haben die Borana den politischen Diskurs in der Region dominiert. Dementgegen hat sich um die Wahlen im Jahr 2013 ein politisches Bündnis „REGABU“, bestehend aus den Rendille, Gabbra und Burji, gebildet, um die Mehrheit der Sitze in der neuen Bezirksregierung für sich zu gewinnen. Infolge der Dezentralisierung wurde das Interesse an der Kontrolle der politischen Prozesse im Bezirk verstärkt, was wiederum zur Politisierung und Zusammenschlüssen entlang von ethnopolitischen Linien führte. Nachdem die „REGABU“ 2013 erfolgreich die wichtigsten Ämter für sich beanspruchen konnten und die Bezirksversammlung dominierte, entfachte erneut Gewalt zwischen den Borana und Gabbra. Dies ist u.a. auf die Sorge um politische und wirtschaftliche Isolation sowie ethnische Unterrepräsentation im Bezirk zurückzuführen.

Friedenspotenziale

Welche Friedensbemühungen gibt es bereits?

Nationale Friedensbemühungen:

Dukana-Dillo-Maikona Friedensvereinbarung (DDM)
Mit der Vereinbarung verpflichten sich die Borana und die Gabbra friedlich miteinander zu leben sowie natürliche Ressourcen wie Wasser und Weideland zu teilen. Durch regelmäßige Treffen zwischen Vertreter:innen der beiden Gemeinschaften an wechselnden Orten soll ein Dialog ermöglicht und Frieden bewahrt werden. Das Abkommen wurde im Jahr 2009 das erste Mal verabschiedet und im Jahr 2017 mithilfe des regionalen Förderprogramms PEACE III erneut angepasst und von den Ältesten der Gemeinschaft unterzeichnet. Dadurch sollen Streitigkeiten und Verstöße gegen die Vereinbarungen leichter bearbeitet werden können. Es ist im Abkommen geregelt, welche Entschädigungen auf welche Verstöße folgen. So wird gemäß des DDM-Abkommens bspw. jedes gestohlene Tier mit fünf multipliziert, d.h. für drei gestohlene Kühe müssen 15 zurückgegeben werden, um die Beziehung wiederherzustellen. Dadurch soll eine Vereinbarung des traditionellen als auch des formellen Systems erzielt und die friedliche Koexistenz durch die Umsetzung des Friedensabkommen gesichert werden.

Marsabit Peace Restoration Committee (Kaparo Council of Elders)
Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen Ende 2013 und Anfang 2014 in Marsabit wurde das Komitee von Präsident Kenyatta ernannt, welches sich aus den Ältesten aller Konfliktgemeinschaften zusammensetzt, um für Frieden im Bezirk zu sorgen. Der Ausschuss spielte eine entscheidende Rolle in der Aushandlung und Erleichterung der Rückgabe von gestohlenen Vieh. Nachdem es aber an finanzieller Unterstützung mangelte, gerieten die gemeinsamen Bemühungen des Komitees ins Stocken.

District Peace Committees (DPCs)
Die Distrikt-Friedensausschüsse (DPCs) unterstehen dem Nationalen Lenkungsausschuss für Friedensbildung und Konfliktmanagement (NSC), welches die kenianische Regierung mit Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingerichtet hat, um Friedensbildung und Konfliktmanagement in Kenia zu koordinieren. Ziel der DPCs ist es, auf lokaler Ebene und in Form eines formellen Frühwarnsystems, Konflikte und Gewaltausbrüche zu verhindern. Dazu wurden Versöhnungs- und Konfliktpräventionstreffen einberufen sowie Entschädigungen für getötete Menschen und gestohlene Tiere ausgehandelt. Unklarheiten über Zuständigkeiten  und Auseinandersetzungen über die Kontrolle der Ressourcen zwischen der Regierung und den Bezirksregierungen erschweren jedoch deren erfolgreiche Arbeit. Außerdem wird beiden Seiten vorgeworfen, sich auf eine Seite der Konfliktparteien zu stellen. So fühlen sich große Teile der Gemeinschaft der Borana bspw. nicht durch die Bezirksregierung vertreten. Nichtsdestotrotz gelten die DPCs als vielversprechende Institutionen, da sie sich stark an die Gewohnheiten der Gemeinschaften anlehnen und traditionelle Ansätze zur Bewahrung des Friedens und der Konfliktlösung verfolgen.

Internationale Friedensbemühungen:

Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) führte im Zeitraum von Februar 2018 bis März 2022 in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Kenia und Äthiopien und den Zwischenstaatlichen Behörden für Entwicklung (IGAD) eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Ländern Kenia und Äthiopien zur Friedensbildung und Konfliktprävention für die Region Marsabit-Moyale durch.

Zivilgesellschaftliche Friedensbemühungen:

Horn of Africa Development Initiative
Die Nichtregierungsorganisation wurde durch Fatuma Abdulkadir Adan, eine kenianische Rechtsanwältin und Friedensmacherin gegründet. Durch sie entstand u.a. das Fußballprojekt „Shoot to score, not to kill“ im County Marsabit. Dadurch wird Nähe zwischen den Jugendlichen der beiden Gemeinschaften geschaffen, mit dem Ziel, Feindseligkeiten zu überwinden.

Welche Friedensansätze werden diskutiert?

  • Stärkung des Zusammentreffens lokaler Führungspersönlichkeiten; Friedensbildende Schulungen und aktive Integration der Ältesten und religiösen Führer:innen der beiden Gemeinschaften in Friedensbildung
  • Förderung der bereits etablierten Friedenskomitees
  • Entwaffnung der Bevölkerung
  • Integration von Frauen und Jugendlichen in die Friedensaktivitäten

Konfliktzwiebeln

Konfliktpartei: Borana

Positionen
-    Ertragsreichtum der Weideflächen und Zugang zu Wasser muss gesichert sein
Interessen
-    Erhalt der politischen Macht auf Regionalebene
-    Zugang zu Wirtschaft und Lokalpolitik
-    Sicherung des Zugangs zu (natürlichen) Ressourcen
Bedürfnisse
-    Überleben und Wohlergehen der eigenen Bevölkerungsgruppe

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Borona (ausgefüllt)

Konfliktpartei: Gabbra

Positionen
-    Zugang zu natürlichen Ressourcen muss gesichert sein
Interessen
-    Überwindung der ursprünglichen politischen Dominanz der Borana
-    Zugang zu Wirtschaft und Lokalpolitik
-    gerechte Ressourcenverteilung
Bedürfnisse
-    Überleben und Wohlergehen der Gemeinschaft

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Gabbra (ausgefüllt)

Konfliktbaum

Konfliktbaum Kenia

Effekte und Auswirkungen

-    Hunderte Todesopfer
-    Flucht und Vertreibung der Bevölkerung
-    verstärkte Verbreitung von Kleinwaffen
-    Gefährdung des Zugangs zu Weideflächen und Wasser --> Wettbewerb um natürliche Ressourcen
-    Wettbewerb um politische Teilhabe und ökonomische Ressourcen

Kernproblem: Zugang zu natürlichen Ressourcen und politischer Teilhabe

Konfliktursachen

-    koloniale Einteilung von Weidelandzonen und Festlegung neuer Grenzen/Bezirke durch kenianische Regierung
-    Erschwerung der traditionellen Lebensweise durch strukturelle und ökologische Veränderungen
-    Dezentralisierungsstrategie der kenianischen Regierung

(vgl. Fisher et al., 2000: 29)

Arbeitsblatt Konfliktbaum (leer)

Arbeitsblatt Konfliktbaum Kenia (ausgefüllt)

 


 

Literatur und Quellen

Karten

  • Karte 1: Landkarte Kenia. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.
  • Karte 2: Lagekarte Kenia. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021

 

Foto-Reportage über ein Friedensprojekt in Kenia

In Marsabit, im tiefsten Norden Kenias, ist Fußball viel mehr als ein Spiel. Und die 32-jährige Fatuma Abdulkadir Adan viel mehr als eine Trainerin. Sie ist auch Anwältin und Menschenrechtsaktivistin und bietet seit vielen Jahren Fußballtraining und Turniere für Jugendliche der verfeindeten Stämme an. Es gibt auch eine extra Mädchenmannschaft.

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