Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

Kongo – Radio Ushirika funkt dazwischen

Ein Friedensprojekt der „Peace Counts"-Ausstellung

Text: Philipp Mausshardt
Fotos: Macline Hien

Mitten in  Kongos Rebellenland sendet „Radio Ushikira“ versöhnliche Töne. Der Sender wird von  Ehrenamtlichen  betrieben  und  spricht  in allen   Sprachen   der   miteinander   verfeindeten Gruppen.  Um   die   Bevölkerung   schneller   über   gefährliche  Situationen  zu  informieren,  hat  Radio  Ushikira  ein  Netz  von  „Radio-Clubs“  in  den  umliegenden  Dörfern  aufgebaut. „Die  Menschen  kannten  nur  Gewalt und Vertreibung“, sagt Jean Baptiste Kiyana, Gründer der Radiostation, „dass es auch ein  Leben  in  Frieden  gibt,  kannten  sie  nicht.“  Erst  vor  drei  Jahren  kam  er bei Kämpfen  selbst  nur  knapp  mit  dem  Leben  davon,  erzählt  Kiyana. 

Volltext der Reportage (ohne Fotos) zum Download. Text: Philipp Mausshardt

Fotos der Reportage mit Kurztexten zum Download sowie ergänzende Anregungen, Fotos: Macline Hien, Text: Anne Romund

Foto-Reportage

(zum Anschauen entweder der Slideshow folgen oder auf die Pfeile klicken)

  • Radio Ushikira Sendestudio. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Mitten in Kongos Rebellenland sendet „Radio Ushirika“  versöhnliche  Töne.  Der  Sender  wird  von  Ehrenamtlichen  betrieben  und  spricht  in  allen  Sprachen der miteinander verfeindeten Gruppen.

  • Es war eine Stimme aus dem Radio, die 1994 das Töten in Ruanda befahl. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Es  war  eine  Stimme  aus  dem  Radio,  die  1994  das  Töten in Ruanda befahl. „Schlagt sie tot wie die Raten“. Damit forderte der Moderator von Radio „Mille Collines“  (Tausend  Hügel)  die  Hutus  zum  Massenmord  an  den  Tutsis  auf.  Das  Ergebnis  ist  bekannt:  mehr  als  800.000  Menschen  wurden  während  des  Völkermords in Ruanda 1994 auf bestialische Weise ermordet. In den nachfolgenden Kriegen kamen im Osten Afrikas knapp vier Millionen Menschen ums Leben.

  • In den ländlichen Gebieten Afrikas dient das Radio oft als die einzige Nachrichtenquelle. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    In den ländlichen Gebieten Afrikas dient das Radio oft  als  die  einzige  Nachrichtenquelle.  Wenige  können lesen, noch weniger sich einen Fernseher leisen. Ein Transistorradio gibt es dagegen für wenige Dollars  in  den  kleinen  Dorfläden.  Seine  Antenne  bringt  die  Welt  noch  in  das  entlegenste  Dorf.  Oft  sitzen Familien abends zusammen um den kleinen Kasten. Kein Medium ist beliebter und wurde gerade deshalb so missbraucht wie das Radio.

  • In der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu kann rund 80 Prozent der Bevölkerung weder schreiben noch lesen. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    In  der  ostkongolesischen  Provinz  Nord-Kivu  kann  rund  80  Prozent  der  Bevölkerung  weder  Schreiben  noch  Lesen.  Selbst  in  der  Hauptstadt  Goma  mit  ihren  700.000  Einwohnern  gibt  es  keine  einzige  Zeitung.  Nachrichten  über  die  unsichere  Lage  im  Hinterland  der  Stadt  werden  meist  über  Handy  oder  direkt  von  Mund  zu  Mund  weiter  getragen.  Noch immer leben mehrere hunderttausend Kriegsflüchtlinge   in   provisorischen   Hütten   oder   unter   Plastikplanen. Sie haben Angst, in die von Rebellen beherrschten Gebiete zurück zu kehren.

  • Fast jeder hat eine Geschichte von Tod und Erniedrigung, von Vertreibung und Vergewaltigung zu erzählen. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Fast  jeder  hat  eine  Geschichte  zu  erzählen.  Seine  Geschichte. Sie handelt von Tod und Erniedrigung, von  Vertreibung  und  Vergewaltigung.  Wer  es  bis  Goma  geschafft  hat,  gehört  zu  den  Glücklichen.  Denn  schon  wenige  Kilometer  weiter  hört  die  von  der  kongolesischen  Armee  kontrollierte  Zone  auf.  Dort  beginnt  Rebellenland.  Zurzeit  machen  Hutu-Milizen die Gegend unsicher.

  • Zu Hunderten sollen die Milizen schwer bewaffnet in den Virunga-Nationalpark eingesickert sein. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Zu  Hunderten  sollen  die  Milizen  schwer  bewaffnet  in   den   Virunga-Nationalpark   eingesickert   sein.   Er  ist  fast  vier  Mal  so  groß  wie  das  Saarland.  Der  Park  ist  nicht  nur  ein  ideales  Versteck,  er  ist  auch  die  Finanzierungsquelle  der  Milizen.  Viele  Kriegs-flüchtlinge suchten im Park Schutz. Sie leben vom Abholzen   der   Bäume   und   der   Herstellung   von   Holzkohle.  Die  Rebellen  schützen  diese  illegalen  Bewohner vor den Parkwächtern und kassieren im Gegenzug Schutzgeld.

  • Militärpatrouillen der Regierungstruppen entlang der Staubstraße. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Auf  unserem  Weg  Richtung  Nationalpark  häufen  sich  die  Militärpatrouillen  der  Regierungstrupen  entlang  der  Staubstraße.  Oft  bestehen  sie  aus  aus-gemergelten  jungen  Soldaten,  die  unsicher  in  die  Umgebung  schauen.  Erst  gestern  morgen,  erzählt  der Fahrer unseres Jeeps, haben Rebellen drei Parkwächter und fünf Regierungssoldaten erschossen.

  • Pick-up vor der Einfahrt zum Virunga-Nationalpark. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Einige  Stunden  später  halten  wir  vor  der  Einfahrt  zum Virunga-Nationalpark. Vor dem Haus steht ein völlig  zerschossener  Pick-up.  Von  dessen  Ladefläche  verteilt  sich  eine  Blutlache  bis  auf  den  Staubboden. Etwa ein Dutzend Uniformierte kommen auf uns  zu,  die  Männer  wirken  nervös.  Sie  tragen  die  khaki-braune   Uniform   der   Nationalpark-Wächter   und Kalaschnikows um die Schulter.

  • Jean Baptiste Kiyana redet beruhigend auf die Uniformierten ein. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Auch  ein  Mann  in  zivil  ist  dabei,  er  redet  beruhigend auf die Uniformierten ein. Es ist Jean Baptiste Kiyana. Wir waren hier mit ihm verabredet. Kiyana  ist  ein  bulliger  Typ  und  trägt  fast  immer  Mikrophon  und  Kopfhörer  um  den  Hals,  damit  er  jeden  Moment  in  sein  Aufnahmegerät  sprechen  kann. Kiyana ist Radiojournalist und Gründer eines kleinen,  lokalen  Radiosenders,  dem  „Radio  Communautaire Ushirika“.

  • Tags zuvor hatten etwa 40 Bewaffnete den Pick-Up der Parkschützer unter Beschuss genommen. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Wir  passieren  die  Stelle,  an  der  Tags  zuvor  etwa  40 Bewaffnete den Pick-Up der Parkschützer unter Beschuss  genommen  hatten.  Die  vier  Parkwächter  und  fünf  Soldaten  waren  gerade  auf  dem  Weg  zu  ihren Kontrollposten an der Straße, als sie angegriffen wurden. Acht Männer starben, nur einer konnte in das nahe Dickicht fliehen und überlebte.

  • Jean Baptiste Kiyana gründete Ende der 90er Jahre mit ein paar Freunden die Organisation „Cereba“. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Jean Baptiste Kiyana gründete Ende der 90er Jahre mit  ein  paar  Freunden  die  Organisation  „Cereba“.  In  der  Gegend  um  Kiwanja  herrschte  schon  bald  zehn  Jahre  Krieg.  „Die  Menschen  kannten  nur  Gewalt und Vertreibung“, sagt Kiyana, „dass es auch ein  Leben  in  Frieden  gibt,  kannten  sie  nicht.“  Cereba  war  eine  Art  Volkshochschule  zu  Themen  wie  Züchtung  von  Saatgut,  Gesundheitsvorsorge,  Streitschlichtung  oder  Nähen.  Doch  wie  erreichte  man  die  Menschen,  die  weit  verstreut  in  Dörfern  lebten? Eine Radiostation zu gründen lag da nahe.

  • Das Gebäude der Radiostation „Ushirika“. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Das  Gebäude  der  Radiostation  „Ushirika“  liegt  unweit  der  einzigen  Straßenkreuzung  von  Kiwanja.  Mit   ihrem   100-Watt-Verstärker   kann   die   Station   rund  50  Kilometer  Reichweite  erzeugen.  In  diesem  Radius leben etwa Zweihunderttausend Menschen unterschiedlicher  Ethnien.  Es  herrscht  ein  Sprachengewirr wie in Babylonien. Darum sendet Radio „Ushirika“  in  vier  Sprachen:  Französisch,  Swahili,  Kinande und Kinyarwanda.

  • Im Sendestudio sitzt gerade Redakteur Faustin Tawite  und  moderiert  die  Sendung  „Choisir  la  vie“  –  das  Leben  wählen.  Ein  Unterhaltungsprogramm  mit viel Musik. In der Pause spricht Tawite ein paar einfache   Grundregeln   des   Zusammenlebens   ins   Mikrofon: „Streit gibt es überall und immer wieder. Aber  man  muss  Probleme  mit  friedlichen  Mitteln  lösen. Hört euch gegenseitig zu und versucht, auch den  anderen  zu  verstehen.“  Verhaltensregeln,  die  wie  Selbstverständlichkeiten  klingen,  können  in  der Provinz Nord-Kivu schon mal ein Leben retten.

  • Jean Baptiste Kiyana hat an diesem Morgen schon ein Leben gerettet. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Jean  Baptiste  Kiyana  hat  an  diesem  Morgen  schon  ein  Leben  gerettet.  Auf  dem  Weg  zu  seiner  Radiostation  war  er  auf  der  Straße  an  einer  aufgeregten  Menschenmenge    vorbeikommen.    Eine    Diebesbande  hatte  in  der  Nacht  versucht,  einen  armseligen Kleiderladen aufzubrechen und war von Nachbarn  auf  frischer  Tat  erwischt  worden.  Einer  der  Diebe schaffte es nicht mehr zu fliehen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“, will Kiyana wissen. „Er liegt im Krankenhaus“, antworten sie.

  • Der Dieb liegt auf dem Zementfußboden des Hospitals. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Der  Dieb  liegt  auf  dem  Zementfußboden  des  Hospitals.  Fast  hundert  Menschen  drängen  sich  vor  dem Zimmer. Jemand hatte mit einem Stock auf den Bewegungslosen  eingeschlagen.  Kein  Arzt,  keine  Krankenschwester traute sich durch die aufgeheizte Menge.  Kiyana  bahnt  sich  einen  Weg.  Ihm  schlägt  Hass entgegen. „Du willst ihn retten, diesen Verbrecher. Er soll verrecken!“ ruft einer. „Lasst ihn leben“ antwortet Kiyana und holt eine Krankenschwester, die sich um den Mann kümmert. Die Menge ist unzufrieden, aber Kiyanas Wort hat Gewicht.

  • Erst vor drei Jahren kam er selbst nur knapp mit dem Leben davon, erzählt Kiyana. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Erst  vor  drei  Jahren  kam  er  selbst  nur  knapp  mit  dem  Leben  davon,  erzählt  Kiyana.  Bei  Kämpfen  zwischen  zwei  Rebellen-Gruppen  kamen  150  Menschen ums Leben. Ein Journalist von Radio Ushirika wurde erschossen, die Radiostation geplündert. Die in der Nähe stationierten UN-Truppen haben nicht eingegriffen.  Kiyana  selbst  flüchtete  nach  Uganda.  Er schrieb in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat: „Die Vereinten Nationen sagen, alle Menschen seien frei und gleich. Verdienen wir den Schutz nicht? Sind wir nicht gleich wie die Andern?“

  • Kiyana zeigt uns das Lager der UN-Mission von Kiwanja. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Kiyana zeigt uns das Lager der UN-Mission von Kiwanja. Eine indische Einheit aus dem Punshab hat sich  am  Rande  der  Stadt  hinter  Stacheldraht  und  einer zwei Meter hohen Mauer aus Sandsäcken eingerichtet.  Weder  der  Kommandant  noch  ein  ande-rer der Soldaten spricht ein Wort Französisch. „Die bekommen hier nichts mit“, sagt Kiyana, „sie sind ausschließlich   damit   beschäftigt,   sich   selbst   zu   schützen.“

  • Von 4.30 bis 22.30 Uhr ist Radio Ushirika „on air“. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Von  4.30  bis  22.30  Uhr  ist  Radio  Ushirika  „on  air“.  Fast    alle    der    lokalen    Menschenrechtsgruppen    nutzen  den  Radiosender,  um  über  ihre  Arbeit  zu  berichten.   Um   die   Bevölkerung   schneller   über   gefährliche  Situationen  zu  informieren,  hat  Radio  Ushikira  ein  Netz  von  „Radio-Clubs“  in  den  umliegenden  Dörfern  aufgebaut.  Mitglieder  der  Clubs  rufen beim Sender an, sobald sich Rebellen nähern.

  • Keine Woche nach dem Überfall auf die Parkwächter, sitzt Kiyana mit seinem Team zusammen. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Keine Woche nach dem Überfall auf die Parkwächter,  sitzt  Kiyana  mit  seinem  Team  zusammen.  Die  Lokalnachrichten  des  Tages  beginnen  wieder  mit  einer  traurigen  Meldung:  „Heute  haben  bewaffnete Rebellen einen Parkschützer erschossen, der auf dem  Weg  zu  seinem  Kontrollpunkt  war.“  Kiyana  wirkt  müde,  als  er  die  Nachricht  hört.    „Die  Hörer  sind  abgestumpft“,  sagt  er.  „Ein  Toter  mehr  oder  weniger interessiert sie kaum noch. Das Schlimmste daran ist, dass man den Respekt vor dem Leben verloren hat.“

  • Viele in Kiwanja haben das Radio vor die Hütte gestellt und auf volle Lautstärke gedreht. © Foto: Macline Hien für Peace Counts

    Viele in Kiwanja haben das Radio vor die Hütte gestellt  und  auf  volle  Lautstärke  gedreht,  wenn  Jean  Baptiste  am  Abend  von  seiner  Radiostation  nach  Hause  läuft.  Die  Menschen  rufen  ihm  freundliche  Worte zu. Gerade läuft „Salut les copins“ – es ist die beliebteste  Sendung  von  Radio  Ushirika.  Jugendliche  rufen  live  per  Handy  an  und  erzählen,  in  wen  sie  verliebt  sind.  Man  könnte  das  alles  für  Frieden  halten,  wüsste  man  nicht,  dass  nur  wenige  Kilometer  entfernt  schon  wieder  die  Gewehre  geladen  werden.

Was ist die „Peace Counts"-Ausstellung?

Frieden ist spannend, zeigt das  Projekt Peace Counts. Wie überwinden Menschen persönliche Grenzen, um auf ihre Feinde zuzugehen? Warum gelingt manchen Jugendlichen der Ausstieg aus bewaffneten, radikalen Gruppen? Wo treten Frauen für ein Ende der Gewalt ein? Was können Fußball, Radio, Tanz und Streit zum Frieden beitragen? Die Reportagen lenken den Blick auf kreative Lösungen und gelungene Kommunikation in Konflikten. Die Roll-up Ausstellung zeigt eine Auswahl der besten Reportagen erfolgreicher Projekte aus rund 30 Konfliktregionen der Welt.

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Workshop – jetzt auch online!

Bei Interesse bietet die Servicestelle begleitende friedenspädagogische Workshops an. Diese richten sich insbesondere an Schüler:innen und Lehrkräfte, können aber auch von weiteren interessierten Zielgruppen angefragt werden. Die Workshops finden entweder digital oder als Präsenzveranstaltung statt.  Basierend auf Lernen nach Vorbildern und Biographien wird das Engagement von Menschen aus Konfliktregionen rund um die Welt besprochen, die mit kreativen zivilen und gewaltfreien Methoden Frieden im Kleinen und Großen schaffen.

Was beinhaltet der Workshop`? Welche  technischen Voraussetzungen werden vorausgesetzt?  Wie kann man sich anmelden?

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