Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

SYRIEN

Eine Konfliktanalyse aus friedenspädagogischer Sicht

Konfliktanalysen - Arbeitsanregungen

Eine Konfliktanalyse ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu verstehen und Friedensstrategien zu entwickeln. Um vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Konfliktanalysen in der praktischen Bildungsarbeit, ob in der Schule oder auch außerschulisch, eingesetzt werden können, hat die Servicestelle Friedensbildung drei unterschiedliche Anregungen mit konkreten Aufgaben zum Einsatz der Konfliktanalysen entwickelt. Diese haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt:

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Konfliktanalysen - Lernposter

Wie kann man einen bewaffneten Konflikt oder Krieg mit einem Fokus auf Frieden analysieren? Mithilfe von Leitfragen, die vom Team der Servicestelle Friedensbildung entwickelt wurden, wird es erleichtert, einen tieferen Einblick in Konfliktsituationen zu gewinnen. Diese Leitfragen werden auf einem Lernposter in Illustrationen präsentiert, die dazu anregen, verschiedene Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung anzuwenden. Sie laden dazu ein, vielfältige bestehende und mögliche Friedenspotenziale zu erforschen und zusammenzutragen. Das Poster hier zum Download:

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Wo? – Konfliktregion

Syrien ist ein Staat in Vorderasien und gehört zu den Ländern des Mittleren Ostens. Flächenmäßig ist Syrien ungefähr halb so groß wie Deutschland. Ein Großteil der gut 17 Millionen Einwohner identifiziert sich als Muslime. Im Islam gibt es viele Strömungen, darunter Sunniten und Schiiten. Die sunnitische Glaubensgruppe macht in Syrien die größte Strömung aus.  Weiterhin gibt es in Syrien religiöse Minderheiten, darunter etwa Menschen christlichen Glaubens.

Wer? – Konfliktparteien

Der innerstaatliche Konflikt in Syrien zwischen der syrischen Regierung unter Präsident Baschar al-Assad und verschiedenen Oppositionsgruppen dauert bis heute an (Stand Juli 2022). Zu den Oppositionsgruppen, die als bewaffnete Akteur:innen in den Konflikt eingetreten sind, gehören die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (NC), die u.a. die Freie Syrische Armee (FSA) und den Syrischen Nationalrat (SNC) umfasst, aber auch verschiedene islamistische Gruppen wie die al-Nusra Front (nun Dschabaht Fath asch-Scham (Front für die Eroberung der Levante)), die Islamische Front (IF) und der Islamische Staat (IS).

Der Konflikt in Syrien stellt einen internationalisierten Konflikt dar, der auf beiden Seiten Verbündete umfasst. So wird die Assad-Regierung durch den Iran, die Hisbollah (Schiitische Organisation, die sich in eine politische Partei und eine bewaffnete Miliz mit islamistischen Positionen teilt) im Libanon, verschiedene schiitische Milizen und Russland unterstützt. Die verschiedenen Oppositionsgruppen erhalten bspw. Unterstützung durch Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigte Arabischen Emirate, die Türkei und die USA.

 

 

Wann? – Zeittafel

März 2011: Beginn des Konflikts mit massiven Protesten der Bevölkerung gegen die Assad-Regierung

2011-2012: Gründung oppositioneller Gruppen (FSA und NC) sowie zunehmender militärischer Erfolg der Opposition

2012: Beginnende Unterwanderung der syrischen Proteste und Aufständischen durch islamistische Gruppen

2013: Einsatz von Giftgas in Vororten von Damaskus; UN-Resolution 2118

2016: Landesweite Waffenruhe und Friedensgespräche von Astana

2017-2018: Großoffensiven zur Zurückeroberung von Gebieten durch die Regierungstruppen

2021: Wiederwahl des Präsidenten Bashar al-Assad

Wie? – Mittel der Konfliktaustragung

Ermutigt durch die Proteste des Arabischen Frühlings kommt es Anfang des Jahres 2011 auch in Syrien zu kleineren Demonstrationen, die schlechte Lebensbedingungen anprangern und sich nach massiver gewaltvoller Unterdrückung der Proteste gegen das Assad-Regime selbst richten. Das Assad-Regime setzt gegen die an friedlichen Protesten teilnehmenden Demonstrierenden Tränengas und scharfe Munition ein. Gewaltsame Repression findet in Form von Massenverhaftungen, Folterungen, nächtlichen Razzien, Angriffen und Belagerungen von Städten, Lieferstopps für Grundnahrungsmittel, Öl und Gas statt. In einigen Städten werden außerdem die Strom- und Kommunikationsverbindungen gekappt. Im weiteren Verlauf des Konflikts werden zudem chemische Waffen eingesetzt, denen alleine im Jahr 2013 Hunderte Menschen zum Opfer fallen. Die syrische Regierung weist jedoch jegliche Vorwürfe diesbezüglich zurück. Des Weiteren greift die Regierung zu schweren Geschützen wie Panzern, Mörsergranaten, Raketen- und Artilleriebeschuss und Luftangriffen gegen oppositionelle Gruppen und von ihnen besetzte Gebiete. Die Opposition setzt neben konventionellen Waffen auch Selbstmordattentate sowie Autobombenanschläge ein. Sie greifen zudem gezielt syrische Militärstützpunkte und Versorgungsrouten der Regierung an, wie bspw. die strategisch wichtige Autobahn M5, die Aleppo mit der Hauptstadt Damaskus verbindet. Die Opposition kontrolliert zeitweise große Teile des Landes. Um die besetzten Gebiete zurückzuerobern, starten die syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung Russlands massive Raketen- und Luftangriffe, sodass bis 2018 wieder über 60% des Landes unter der Kontrolle der Regierung sind. Der Konflikt ist durch vielfache Völkerrechtsverletzungen gezeichnet, wie den Beschuss von Krankenhäusern, Schulen und humanitären Korridoren sowie sexualisierter Gewalt. Zudem unterwandern zahlreiche dschihadistisch-islamistische Gruppen die syrischen Proteste und die Opposition, weshalb die gesamte Opposition von dem Assad-Regime des Terrors bezichtigt werden, sie würden aus dem Ausland gesteuert und müssten daher bekämpft werden.

Warum? – Erklärungen für den Konflikt

Strukturelle Ungleichheit (machtbasierter Erklärungsansatz)

Forderungen nach sozioökonomischen Verbesserungen werden im Zuge des Arabischen Frühlings auch in Syrien durch die syrische Bevölkerung laut. Die punktuelle Liberalisierungspolitik durch das Assad-Regime seit Beginn der 2000er Jahren verstärkt die sozialen Ungleichheiten, v.a. zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung, was wiederum viele Arbeiter:innen auf die Straßen treibt. Verstärkt wird dies durch die Korruptionsproblematik innerhalb des Assad-Regimes und den Reichtum der Machteliten. Damit verbunden sind u.a. Forderungen nach Rechtstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.

Politischer Einfluss und Macht (machtbasierter Erklärungsansatz)

Für die Assad-Regierung steht die Sicherung der Macht und damit die Unterdrückung und Zerschlagung der Opposition und der Protestbewegungen in der Bevölkerung im Vordergrund. Die Oppositionsgruppen haben ein erhebliches Interesse an politischer Teilhabe und Veränderung entwickelt und streben teilweise einen Regierungs- und Systemwechsel an. Anderen militärischen Gruppierungen geht es um die Sicherung ihrer Macht in einigen Teilgebieten. Auch die Beteiligung externer Akteure im Verlauf des Konflikts lässt sich durch das Streben nach regionaler Vormacht und Einflusssphären erklären.

Othering und kulturelle Identität (kultureller Erklärungsansatz)

Im Staats- und Sicherheitsapparat Syriens sind Alawit:innen (Religiöse Minderheit, die der schiitischen Strömung angehören, Baschar al-Assad ist ebenfalls Alawit) unter Assad überrepräsentiert, während die sunnitische Mehrheit des Landes nur gering repräsentiert wird. Die Konfessionalisierung, welche v.a. durch bestimmte externe konfessionelle Verbündete verstärkt wird, fördert die gegenseitigen Feindbilder und strahlt als Konfliktmuster entlang ethnisch-religiöser Linien  (v.a. Sunniten vs. Schiiten) in die Region aus.

Friedenspotenziale

Welche Friedensbemühungen gibt es bereits?

Friedensplan der Arabischen Liga (AL)

Die Arabische Liga schließt Syrien nach Beginn des Krieges aus und entwickelt einen im November 2011 vorgestellten Friedensplan. Er beinhaltet u.a. den Rückzug des syrischen Militärs aus Städten, die Freilassung von Regimegegner:innen, einen Dialog mit der Opposition und eine Beobachter:innenmission. Die Initiative bleibt trotz der Zustimmung der syrischen Regierung wirkungslos. Daraufhin erweitert die Arabische Liga ihre Forderungen um einen Rücktritt al-Assads im Rahmen eines Übergangsprozesses, welchen das Regime ablehnt.

Friedensverhandlungen in Genf und UN-Sondergesandte

Im Februar 2012 schlägt Kofi Annan, Sondergesandter der Vereinten Nationen (UN), einen Sechspunkteplan vor, der vom UN-Sicherheitsrat mit den Resolutionen 2042 und 2043 bestätigt wird. Dieser sieht einen inklusiven Friedensprozess sowie eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und die Leistung humanitärer Hilfe vor. Das Genfer-Kommuniqué der Action Group (Vertreter:innen der UN, der Vetomächte, der Arabischen Liga, der Türkei und der EU) stellt sich auch dahinter und fordert zudem einen Regierungswechsel mit Übergangsprozess. Die Verhandlungen und Sondergesandten haben jedoch auch in den Folgejahren wenig Erfolg.

UN-Sicherheitsrat und UN-Resolution 2254

Die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats wird am 18. Dezember 2015 einstimmig angenommen. Die Resolution fordert einen Waffenstillstand, davon ausgenommen wurden als terroristisch eingestufte Gruppen, darunter die al-Nusra Front und der Islamische Staat, die weiterhin bekämpft werden dürfen. Zudem wird eine politische Lösung in Syrien gefordert, welche innerhalb von 18 Monaten freie und faire Wahlen unter Aufsicht der UN verlangt. Die Umsetzung der Resolution ist bisher nicht erfolgreich, ist aber weiterhin ein wichtiger Bezugspunkt für die Ausrichtung der Syrienstrategien der internationalen Gemeinschaft.

Astana-Gespräche

Dieses Gesprächsforum findet seit 2017 in der kasachischen Hauptstadt Astana statt und wird hauptsächlich von den Regierungen Russlands, der Türkei und dem Iran geführt, welche ihr Handeln in Syrien abstimmen. Zu den Gesprächen werden immer wieder Delegationen der syrischen Regierung sowie der Oppositionsgruppen eingeladen. Es geht darum, Kommunikationskanäle zwischen den Staaten offen zu halten. Das Format ist nicht als Friedensprozess zu verstehen und es gibt Zweifel, ob die beteiligten Staaten wirklich an einer Befriedung interessiert sind.

Die Berghof Foundation und das finnische Außenministerium fördern seit 2019 das Projekt „Entwicklung politischer Optionen für Kompromisse zur Unterstützung einer friedlichen Beilegung und Stabilisierung in Syrien“, das unabhängige syrische Gruppen bei der Entwicklung von Konfliktlösungen unterstützt.

Welche Friedensansätze werden diskutiert?

Seit November 2019 versucht der inzwischen 4. UN-Sondergesandte zu Syrien, Geir Pedersen, ein syrisches Verfassungskomitee zusammenzubringen, dessen Ziel es ist, dass die Regierung, die zivile Opposition und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft unter der Schirmherrschaft der UN eine neue Verfassung diskutieren. Wichtige andere Themen, die in der UN-Resolution 2254 vom Dezember 2015 festgelegt wurden, werden derzeit nicht bearbeitet. Dazu zählen politische Reformen, faire Wahlen, die Reform des Sicherheitssektors und die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus. Es wird außerdem eine Fortsetzung der Genfer UN-Friedensgespräche auf Grundlage der UN-Resolution 2254 angestrebt. Des Weiteren werden in der Literatur die Notwendigkeit humanitärer Hilfe sowie umfassende Wiederaufbauhilfe durch internationale Akteure sowie Strafverfahren und Verurteilungen der Konfliktbeteiligten bezüglich Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen diskutiert. Russland, die Türkei und der Iran haben mit dem Astana-Format einige Maßnahmen erzielt, wie die Anfang 2017 eingerichteten Deeskalationszonen in Syrien, die Aushandlung von regionalen Waffenstillständen und Versuche zu Versöhnungsabkommen. Doch in der umkämpften Region Idlib ist die Vereinbarung eines Waffenstillstands zwischen Ankara und Moskau fortwährend ein fragiler Kompromiss. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene werden die Versöhnungsarbeit sowie ein Dialog zwischen den religiösen Strömungen gefordert.

Konfliktzwiebeln

Konfliktpartei: Regierung

Positionen
-    Macht muss erhalten bleiben
-    autoritäre Ausrichtung des politischen Systems
Interessen
-    Oberhand über Nationalstaat und Bevölkerung
-    Machtsicherung
-    Wohlstandssicherung
Bedürfnisse
-    Sicherheit

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Regierung (ausgefüllt)

Konfliktpartei: Opposition

Positionen
-    Politik soll reformiert werden
-    Baschar al-Assad muss gestürzt werden
Interessen
-    soziale, politische und wirtschaftliche Reformen
-    Regimewechsel
-    politische Macht
Bedürfnisse
-    soziale Gerechtigkeit
-    Verbesserung Lebensbedingungen
-    Perspektiven

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Opposition (ausgefüllt)

 

Konfliktbaum

Konfliktbaum Syrien

Effekte und Auswirkungen

-    370.000 bis über 600.000 Tote
-    Flucht und Vertreibung
-    schlechte Perspektiven für Rückkehrer:innen
-    Völkerrechtsverletzungen
-    Stellvertreterkrieg
-    Erstarkung islamistischer Gruppen in Syrien und in der Region
-    Gewalt greift auf Nachbarländer über
-    Zerstörung der Infrastrukur

Kernproblem: Unterdrückung jeglicher Opposition durch autokratisches Assad-Regime; strukturelle Ungleichheit

Konfliktursachen

-    sozio-ökonomische Ungleichheit
-    politische Ausrichtung und Regierungsweise der Assad-Regierung
-    Konfessionalisierung

Arbeitsblatt Konfliktbaum (leer)

Arbeitsblatt Konfliktbaum Syrien (ausgefüllt)

 


 

Literatur und Quellen

Karten

Karte 1: Landkarte Syrien. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.
Karte 2: Lagekarte Syrien The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.

Weitere Materialien:

Träger der Servicestelle Friedensbildung

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