Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

VENEZUELA

Eine Konfliktanalyse aus friedenspädagogischer Sicht

Konfliktanalysen - Arbeitsanregungen

Eine Konfliktanalyse ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu verstehen und Friedensstrategien zu entwickeln. Um vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Konfliktanalysen in der praktischen Bildungsarbeit, ob in der Schule oder auch außerschulisch, eingesetzt werden können, hat die Servicestelle Friedensbildung drei unterschiedliche Anregungen mit konkreten Aufgaben zum Einsatz der Konfliktanalysen entwickelt. Diese haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt:

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Konfliktanalysen - Lernposter

Wie kann man einen bewaffneten Konflikt oder Krieg mit einem Fokus auf Frieden analysieren? Mithilfe von Leitfragen, die vom Team der Servicestelle Friedensbildung entwickelt wurden, wird es erleichtert, einen tieferen Einblick in Konfliktsituationen zu gewinnen. Diese Leitfragen werden auf einem Lernposter in Illustrationen präsentiert, die dazu anregen, verschiedene Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung anzuwenden. Sie laden dazu ein, vielfältige bestehende und mögliche Friedenspotenziale zu erforschen und zusammenzutragen. Das Poster hier zum Download:

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Wo? – Konfliktregion

Venezuela ist ein Staat im nördlichen Teil Südamerikas. Das lateinamerikanische Land ist flächenmäßig fast drei Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur noch ca. 27 Millionen Einwohner:innen. In den vergangenen Jahren haben laut UN-Angaben rund sechs Millionen Venezolaner:innen aufgrund der humanitären und politischen Krise ihr Land verlassen.

Wer? – Konfliktparteien

Der Konflikt in Venezuela ist ein innerstaatlicher Konflikt zwischen der Regierung unter Nicolas Maduro und dem einflussreichen, regierungstreuen Militär auf der einen Seite sowie der zersplitterten, politischen Opposition auf der anderen Seite. Venezuela hat die weltweit größten Erdölreserven und Raffinerien. Aus Interesse an diesen Reserven nehmen verschiedene Staaten auf das Konfliktgeschehen in Venezuela Einfluss und beide Parteien erhalten finanzielle wie militärische Unterstützung aus dem Ausland. Dadurch ist der Konflikt in hohem Maße internationalisiert. Im Jahr 2023 führt ein alter Grenzstreit zwischen Venezuela und Guyana um die Region Essequibo zu einem weiteren Konflikt.

Wann? – Zeittafel

Ab 1999: Autokratisierung und Erdölexportabhängigkeit

Unter der Präsidentschaft von Hugo Chavez entwickelt sich Venezuela durch die zunehmende Verflechtung von Regierung, Militär und Ölwirtschaft sowie staatlichen Repressionen gegen Opposition und Presse zu einem autokratisch geführten, von Erdölexporten abhängigen Land.

2013: Nicolás Maduro wird Präsident

Nach dem Tod Chavez‘ wird sein Wunschkandidat Nicolas Maduro bei Neuwahlen zum Präsidenten gewählt. Wegen Unstimmigkeiten bei der Abstimmung und Auszählung wird das Ergebnis von der Opposition nicht anerkannt.

2014: Einschränkung des Pluralismus und Hyperinflation

Maduro geht mit zunehmender Härte gegen die Opposition vor und verfestigt die autokratischen Strukturen. Durch den Fall des Ölpreises bricht die venezolanische Wirtschaft ein, es kommt zu einer Hyperinflation; die Preise steigen rasant, Medizin und Lebensmittel werden knapp.

2017–2019: Massendemonstrationen gegen Maduro-Regierung

Die wirtschaftliche, politische und humanitäre Lage verschlechtert sich aufgrund von Misswirtschaft, sinkenden Ölpreisen und Inflation dramatisch. Über 70 Prozent der venezolanischen Bevölkerung fallen in extreme Armut. Dies löst Massendemonstrationen gegen die Maduro-Regierung aus. Bei Straßenkämpfen zwischen Oppositionellen, Sicherheitskräften und Regierungsanhänger:innen kommen hunderte Menschen ums Leben. Millionen Venezolaner:innen flüchten aufgrund der humanitären Lage ins Ausland.

23.01.2019: Präsidentschaftswahlen und Interimspräsidentschaft

Nachdem Maduro 2018 bei der von der Opposition boykottierten und von der internationalen Gemeinschaft als nicht-demokratisch erachteten Präsidentschaftswahl wiedergewählt wird, erklärt sich der Präsident des von der Opposition geführten Parlaments, Juan Guaidó, zum Interimspräsidenten (Präsident, der während einer Übergangszeit amtiert) von Venezuela. Er wird von 54 Nationen, u.a. von Deutschland, den USA und vielen lateinamerikanischen Staaten, völkerrechtswidrig anerkannt. Maduro bleibt dennoch im Amt, da Guaidó die Macht und effektive Kontrolle über Streitkräfte, Verwaltung und Territorium fehlt.

2022: Dialogbereitschaft und Unterzeichnung eines Teilabkommens

Im November 2022 haben die Maduro-Regierung und die Opposition wieder einen Dialog aufgenommen und Vertreter:innen beider Seiten haben ein wichtiges Teilabkommen unterzeichnet. Dies sieht u.a. vor Staatsgelder, die durch US-Sanktionen eingefroren wurden, zur Linderung der humanitären Notlage im Land einzusetzen.

2023: Ausbruch eines Grenzstreits mit Annexionsdrohungen

Mit einem Referendum über die Annexion der Region Essequibo im Westen Guyanas, einem Nachbarstaats Venezuelas, will Präsident Maduro seinen Anspruch auf das Land unterstreichen. Dadurch verschärft sich ein jahrzehntealter Grenzstreit zwischen Venezuela und Guyana um die Region. Die dünn besiedelte Region, die ca. 60 Prozent des guyanischen Staatsgebietes ausmacht, umfasst riesige Ölvorkommen.

 

Wie? – Mittel der Konfliktaustragung

Das größtenteils regierungstreue Militär, regierungsnahe bewaffnete Milizen (Colectivos) und Sicherheitskräfte gehen mit großer Brutalität gegen kritische Medien und Demonstrierende vor. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen, Folter und Hinrichtungen von Regierungskritiker:innen und Oppositionellen. Militärische und finanzielle Unterstützung erhält die venezolanische Regierung insbesondere von Kuba und Russland.

Die Opposition rief in der Vergangenheit oftmals zu Generalstreiks und Massendemonstrationen mit friedlichen Mitteln auf. Dennoch kam es aufseiten der heterogenen Opposition auch zum Einsatz von Gewalt, um gegen die Regierung und die ihr zur Seite stehenden Sicherheitskräften vorzugehen. In einigen Fällen wurden Zivilist:innen und Sicherheitskräfte von Oppositionellen am Rande von Ausschreitungen getötet.

Der Konflikt um die Region Essequibo wird bislang ohne militärische Mittel ausgetragen. Mitte Dezember kam es in Venezuela zu einem Referendum über die Annexion der ölreichen Region. Die hohen Zustimmungsraten wurden von der Opposition angezweifelt.

Warum? – Erklärungen für den Konflikt

Politischer Einfluss und Macht (machtbasierter Erklärungsansatz)

Nicolas Maduro, seiner Regierung und dem Militär geht es darum, ihre Macht gegenüber der Opposition, auch in Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der humanitären Notlage, zu sichern und dafür ihre Macht weiter auszubauen. Die fragmentierte Opposition versucht dies zu verhindern und die aktuelle Regierung abzulösen, der sie vorwirft, eine Diktatur aufzubauen. Bei der Frage, wie der politische Richtungswechsel aussehen soll, um die existenziellen Krisen des Landes zu bekämpfen, herrscht Uneinigkeit in der Opposition. Guaidó fordert die Demokratisierung des Landes und wird dabei von vielen europäischen Staaten sowie den USA unterstützt.

Ökonomische Interessen an Erdöl (ökonomischer Erklärungsansatz)

Für Nicolas Maduro sind die Erdölvorkommen Venezuelas von enormer Bedeutung, um den eigenen Wohlstand und seine durch das Öl finanzierten, klientelistischen Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Venezuela ist besonders wegen seiner nachweislich weltweit größten Erdölvorkommen interessant für andere Staaten. So erfährt Maduros’ Regierung von Kuba, das vom Öl Venezuelas abhängig ist, viel Unterstützung. Auch Russland hat wirtschaftliche und geopolitische Interessen im Land, z.B. ist Venezuela der größte Importeur russischer Waffen in Lateinamerika. Durch die Unterstützung von Guaidó und einer möglichen Demokratisierung des Landes versuchen die USA und europäische Staaten einen besseren Zugang zu den Ölreserven des Landes zu erhalten. Infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und dem Boykott russischen Öls kommt es nun zu einer überraschenden Annäherung zwischen Maduro und den USA. Die maßgeblich mit dem Interesse an Öl zu erklärende ausländische Unterstützung der jeweiligen Konfliktparteien verfestigt die Spaltung des Landes. Durch massive staatliche Eingriffe hat sich die Wirtschaft Venezuelas zu einem fast komplett vom Erdölexport abhängigen System entwickelt. Das Land stellt kaum noch andere Waren her. Bergbau, Land- und Holzwirtschaft sowie die Industrie sind fast zum Erliegen gekommen. Trotz eigener riesiger Ölvorkommen kann das Land aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen und maroden Infrastrukturen nur noch einen Bruchteil der möglichen Mengen fördern. Seit der Erschließung von neuen Ölquellen in der Region Essequibo in Guyana steigt dort der Ölexport massiv an; Maduro will sich diese Ölquellen und weitere Bodenschätze, wie seltene Erden, sichern.

Friedenspotenziale

Welche Friedensbemühungen gibt es bereits?

Die oftmals friedlichen Massenproteste und Streiks haben in der letzten Zeit abgenommen. Viele Menschen haben die Hoffnung auf einen politischen Wandel aufgegeben oder haben das Land mittlerweile verlassen. Auf staatlicher und internationaler Ebene gibt es Bestrebungen, eine Einigung zwischen den Konfliktparteien zu erzielen. Ein Bündnis von EU-Staaten und lateinamerikanischen Ländern gründete 2019 die Internationale Kontaktgruppe, die allerdings mit ihrem Ziel der Krisenbewältigung durch Neuwahlen scheiterte. Der von Norwegen initiierte Oslo-Prozess führte 2019 zu direkten Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition, die letztlich von der Maduro-Regierung abgebrochen wurden. Um die geopolitischen Fronten abzubauen und Neupositionierungen innerhalb der Opposition zu ermöglichen, verzichtet die EU seit 2021 darauf, Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen. Mit internationalen Soforthilfen und dem Engagement internationaler Hilfsorganisationen soll zudem die humanitäre Notlage in Venezuela gelindert werden.

Welche Friedensansätze werden diskutiert?

Im Zentrum der Ansätze, die zur Erreichung von Frieden diskutiert werden, steht die Überwindung der politischen Blockade.

  • Ziel ist es, einen Dialog zwischen den Konfliktparteien zu ermöglichen, demokratische Wahl- und Regierungsstrukturen herzustellen und letztlich umfassende Maßnahmen gegen die katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Situation im Land zu entwickeln. 2021 wurden erneut Verhandlungen zwischen Maduros Regierung und der Opposition in Mexiko geführt. Im Gegensatz zu früheren Verhandlungen nahmen weitere Staaten, darunter die Niederlande, Bolivien, Russland und die Türkei, als Vermittler an den Verhandlungen teil. Im November 2022 nahmen die Konfliktparteien wieder Gespräche auf, um für soziale Sicherheit im Land zu sorgen. Zudem soll die UN einen Fonds einrichten, um von Armut betroffenen Venezolaner:innen Gesundheitsversorgung, Essen und Bildung zu ermöglichen.
  • Mithilfe von Sanktionen gegen Maduro und seine Regierung und die Aussicht auf deren Lockerung, versuchen die USA mit Druck und Anreizen, Maduro zu einem Politikwechsel zu bewegen. Seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs kommt es zu leichten Annäherungen zwischen den USA und Venezuela. Im Oktober 2022 werden eine Reihe von Sanktionen gegen den Öl- und Gassektor Venezuelas ausgesetzt. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Lockerungen ist laut den USA die Durchführung von freien und fairen Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 sowie die Freilassung von inhaftierten US-Bürger:innen.
  • Seit 2018 ermittelt zudem der Internationale Strafgerichtshof gegen Venezuela. Gegenstand der Ermittlungen sind mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere Folterungen und Hinrichtungen von Regierungsgegner:innen durch regierungsnahe Sicherheitskräfte.

Im Konflikt um die Region Essequibo befasst sich der Internationale Gerichtshof (IGH) auf Antrag Guyanas mit dem Streit.

  • Großbritannien, welches enge Beziehungen zu Guyana pflegt, begrüßt die Prüfung vor dem IGH. Eine Eskalation des Konfliktes mit Guyana hätte für Venezuela möglicherweise erneute US-Sanktionen zur Folge, da die USA als Verbündeter Guyanas gelten.
  • Nach ersten Gesprächen zwischen den Präsidenten beider Staaten einigten sich diese darauf, im Konflikt auf Gewalt und Drohungen zu verzichten, eine Lösung für den Konflikt um das Gebiet wurde jedoch noch nicht gefunden.

 

Konfliktzwiebeln

Konfliktpartei: Regierung

Positionen
-    Maduro ist der legitime Präsident des Landes
-    Sanktionen gegen die Regierung müssen beendet werden
-    Anspruch auf Essequibo-Territorium
Interessen
-    Aufrechterhaltung autokratischer Strukturen
-    Machterhalt
-     Annektion der Region Essequibo
Bedürfnisse
-    Sicherung der eigenen Position
-    Schutz vor Regierungsgegner:innen
-    Ökonomische Sicherheit und Wirtschaftswachstum

 

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Venezuela Regierung (ausgefüllt)

Konfliktpartei: Opposition

Positionen
-    Maduro ist ein Diktator, der des Amtes enthoben werden muss
-    Bekämpfung von Korruption und autokratischen Strukturen
-    Guaidó soll als Interimspräsident international anerkannt werden
Interessen
-    Verbesserung der wirtschaftlichen und humanitären Lage
-    mehr politischer Einfluss
-    Schutz demokratischer Strukturen
-    politischer Wandel
-    Demokratisierung: freie und faire Wahlen
Bedürfnisse
-    Sicherheit und Schutz vor Repressionen der Regierung
-    Überlebenssicherung

 

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel (leer)

Arbeitsblatt Konfliktzwiebel Venezuela Opposition (ausgefüllt)

 

Konfliktbaum

Konfliktbaum Venezuela

Effekte und Auswirkungen

-    Hinrichtungen; Folter
-    Masseninhaftierungen von Regierungskritiker:innen
-    Hass und Misstrauen
-    Marode Wirtschaft
-    Plünderungen
-    Massenflucht: über 7 Mio. Venezoaler:innen verlassen das Land 
-    humanitäre Notlage; extreme Armut

Kernproblem: autoritäre Regierungsstruktur

Konfliktursachen   

-    autokratischer Regierungsstil
-    Korruption
-    internationale Einflussnahme
-    Erdölabhängigkeit
-    Misswirtschaft
-    Unterdrückung der Opposition

Arbeitsblatt Konfliktbaum (leer)

Arbeitsblatt Konfliktbaum Venezuela (ausgefüllt)


 

Literatur und Quellen

Karten

Karte 1: Landkarte Venezuela. The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.
Karte 2: Lagekarte Venezuela The World Factbook 2021. Washington, DC: Central Intelligence Agency, 2021.

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