Servicestelle Friedensbildung

Baden-Württemberg

 

Nigeria – Eine Art Wunder: Der Imam und der Pastor

Ein Friedensprojekt der „Peace Counts"-Ausstellung

Text: Michael Gleich
Fotos: Uli Reinhardt

In Nigeria spielt Religion eine große Rolle. Rache aber   auch:   Die   Menschen   töten   für   ihren Glauben. Auch James und Ashafa waren früher Erzfeinde. Jetzt arbeiten sie zusammen für den Frieden.   Die   Geschichte   einer   dramatischen Versöhnung.

Volltext der Reportage (ohne Fotos) zum Download. Text: Michael Gleich

Fotos der Reportage mit Kurztexten zum Download sowie ergänzende Anregungen, Fotos: Uli Reinhardt, Text: Anne Romund

Website der Organisation:  https://interfaithmediation.org

Foto-Reportage

(zum Anschauen entweder der Slideshow folgen oder auf die Pfeile klicken)

  • Imam Ashafa und Pastor James Wuye. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    James Wuye und Muhammad Ashafa kämpften als Milizionäre   gegeneinander.   Heute   vermitteln   sie   gemeinsam  im  Norden  Nigerias  zwischen  Christen  und Muslimen. Mit Erfolg. Ihre stärksten Argumente sind Koran, Bibel – und die eigene Biografie.

  • Pastor und Imam beim Gang durch das Stadtviertel von Jos. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Die  Ruinenstadt  wäre  ein  guter  Ort,  um  alte  Wunden wieder aufzureißen. James und Ashafa dringen immer tiefer in die Gassen ein. Vorbei an schwarz-verkohlten Hausskeletten und verwaisten Brunnen. Einziger  Farbtupfer  ist  ein  bunter  Vorhang,  der  im  Wind flattert. Er ersetzt die Tür in einem Haus, das dem  Mob  und  den  Flammen  standhielt.  „Das  war  ein  quicklebendiger  Ort,“  raunt  James.  „Hier  hat  kein  einziger  Muslim  überlebt“,  fügt  Ashafa  leise  hinzu.  Entweder  sie  konnten  fliehen  oder  wurden  massakriert. Hier waren Glaubensbrüder von James am  Werk.  Die  Inspektion  in  dem  zerstörten  Stadt-viertel  von  Jos,  der  Hauptstadt  des  Bundesstaates  Plateau,  wird  zu  einer  Bewährungsprobe  für  das  ungleiche Paar.

  • Pastor und Imam beim Gang durch das von Muslimen zerstörte Stadtviertel von Jos. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    James,  ein  Kopf  kleiner  als  Ashafa,  ist  mit  seiner  Schiebermütze   aus   Leder   sofort   als   Christ   erkennbar,  Ashafa  in  seinem  wallenden  arabischen  Gewand  und  mit  zauseligem  Kinnbart  weithin  als  Muslim  auszumachen.  Ein  Pastor  und  ein  Imam,  Hand  in  Hand?  James’  Blicke  tasten  nervös  die  Umgebung ab. Immer wieder dreht er den Kopf nach hinten. Eine Gruppe junger Männer folgt ihnen auf dem  Fuß.  Sie  tuscheln  mit  düsteren  Mienen,  kommen immer näher. James fasst mit der Linken nach Ashafas  Hand.  Wo  einmal  seine  Rechte  war,  sitzt  heute  eine  Prothese.  Ein  muslimischer  Milizionär  hat ihm die Hand abgehackt, vermutlich einer von Ashafas  Männern.  Vor  18  Jahren,  im  Kampf,  mit  einer  Machete.  Es  ist  nicht  der  einzige  Verlust,  der  die beiden aneinander bindet. Für James ist es der schmerzhafteste.

  • Pastor und Imam beim Gang durch das Stadtviertel von Jos vorbei an Armeeposten. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Die beiden beschleunigen ihre Schritte, bis sie einen kleinen  Armeeposten  erreichen.  Die  Männer,  die  ihnen schweigend und bedrohlich gefolgt sind, bleiben zurück. Gemeinsam bitten James und Ashafa um Geleitschutz. Ein junger Corporal willigt ein. Das Morden und Brandschatzen, dessen Spuren die beiden zwischen den Ruinen recherchieren, war ein Vergeltungsakt. Für ein Blutbad an Christen, vorher, woanders. Das  wiederum  einen  Angriff  auf  Muslime  rächte,  vorher,  woanders.  Eine  Kettenreaktion  des  Hasses,  die  den  Bundesstaat  Plateau  in  Atem  hält.  Plateau  liegt im Middle Belt Nigerias. In den südlichen Bun-desstaaten  dominieren  christliche  Gemeinschaften,  im Norden muslimische. Und im Mittelgürtel prallen die  Religionen  wie  driftende  Kontinentalplatten  au-feinander. Tektonische Spannungen, die sich immer wieder in Gewaltexzessen entladen.

  • Knapp die Hälfte der Einwohner Nigerias ist islamisch, die andere christlich. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Nigeria  gilt  als  eines  der  religiösesten  Länder  der  Welt.   95   Prozent   der   Einwohner,   so   ergab   eine   Umfrage  im  Auftrag  der  BBC,  würden  für  den  Gott  sterben, an den sie glauben. Offiziell ist knapp eine Hälfte islamisch, die andere christlich. Aber schon die  Zahlen  sind  Gegenstand  erbitterter  Debatten.  Angeblich geht es bei den Gewaltkonflikten um Religion, in Wirklichkeit jedoch um Geld und Einfluss. Egal  ob  Aufträge  oder  Kredite,  Studienplätze  oder  Jobs, alles wird nach religiösem Proporz vergeben. Ist der Staatspräsident Muslim, muss sein Stellver-treter Christ sein. Lagerlogik. Das Gefälle zwischen dem wohlhabenderen, christlichen Süden und dem ärmeren,   muslimisch   dominierten   Norden   ver-schärft  den  Konflikt.  Wie  so  oft  bei  Konflikten,  die  gewaltsam  eskalieren,  fühlen  sich  beide  Seiten  an  den Rand gedrängt, die Alten ihrer Würde beraubt, die Jungen um Lebenschancen betrogen.

  • Kleinbus des Teams Peace is divine. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    „Wir   müssen   das   Frühwarnsystem   verbessern,   damit  das  hier  nicht  noch  einmal  passiert“,  sagt  Ashafa.  Die  beiden  haben  in  Jos  Teams  geschult,  die  aus  respektierten  Persönlichkeiten  beider  Religionen bestehen und bei den ersten Anzeichen von Ausschreitungen Alarm schlagen. Sie  kehren  zu  ihrem  Kleinbus  zurück,  unversehrt,  auch  innerlich.  Die  alten  Wunden  sind  nicht  aufgerissen.  „Peace  is  divine“  steht  in  großen  Lettern  am Busheck. Frieden ist heilig. Das ist ihre Mission.

  • Workshops zu gewaltfreier Konfliktloesung im Interfaith Mediation Centre. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Interfaith Mediation Centre (IMC) heißt die Organisation,  die  Pastor  James  Wuye  und  Imam  Muhammad Ashafa leiten. Seit vielen Jahren vermitteln sie in  den  religiösen  Konflikten  Nigerias,  mit  interna-tional beachteten Erfolgen. Sie nutzen die gemein-same  Essenz  von  Koran  und  Bibel  –  Frieden  und  Nächstenliebe  –  als  Grundlage  ihrer  Mediationen.  Und  sie  organisieren  Workshops  zu  gewaltfreier  Konfliktlösung  für  diejenigen,  die  im  Lande  die  Entscheidungen  fällen:  religiöse  Führer,  Politiker,  Unternehmer und Beamte. Immer beginnen sie mit einem Gebet, jeder zu seinem Gott, und enden mit „Amen“  und  „Ameen“.  Wenn  ihr  wahre  Christen  und echte Muslime sein wollt, so schwören sie die Teilnehmer  ein,  dann  liebt  und  achtet  einander,  denn so gefällt es dem Allmächtigen!

  • Pastor James Wuye in einem Fernsehstudio in Kaduna. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Als  junge  Männer  waren  sie  Erzfeinde,  die  einer  Religion  der  Rache  huldigten.  Gedemütigt  haben  sie  uns.  Beleidigt  haben  sie  Gottes  Namen.  Unsere  Leute  haben  sie  umgebracht,  sogar  Frauen,  Kinder,  Greise, alle. Niemand konnte sich wehren. Oh, diese Ohnmacht.  Ich  hasse  sie,  diese  Bastarde.  Sie  sollen  leiden, so wie unsere Bro‘s and Sistas gelitten haben. Nein,  schlimmer!  Erschlagt  sie  wie  Hunde.  Zündet  ihre Häuser an. Zur Hölle mit ihnen. Wir sind Gottes Werkzeug, wir leihen seiner Rache das Schwert. Das Brennen in meinem Bauch soll aufhören, endlich. James  Wuye  kennt  dieses  innere  Kochen,  diesen  Groll, der ihm den Magen zusammenballt wie einen Stein. „Ich bin damit aufgewachsen.“

  • Als kleiner Junge hat James mit den anderen am liebsten Soldat gespielt. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Als kleiner Junge hat er mit den anderen am liebsten Soldat gespielt. Den Vater, der als Berufsoffizier im Biafra-Krieg kämpfte, sah er selten. Umso mehr wollte  er  ihm  gefallen.  Stark  sein,  ein  Held,  unüberwindlich. Und umso demütigender empfand er die  Schläge  seiner  Mutter:  Dieses  Gefühl  der  Ohnmacht, schwor er sich, wolle er nie wieder erdulden müssen. Als Sechsjähriger bastelte er aus Blechtellern  Helme,  aus  Isolatoren  und  Pfeffer  die  ersten  „Handgranaten“. James war einen Kopf kleiner als die  anderen.  Das  machte  er  durch  Verwegenheit  wett. Beim Kicken auf dem staubigen Bolzplatz, bei den Prügeleien, in die er sich regelrecht verbiss, bei nächtlichen Sauftouren.

  • Die Predigt traf ihn mitten ins Herz. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Seine Augen vom Alkohol gerötet, seine Finger gelb von den Zigaretten, so betrat er eines Sonntags die Kirche.  Du  verschwendest  dein  Leben,  schrie  der  Prediger,  du  achtest  dich  selbst  nicht.  Aber  Jesus  nimmt  dich  an,  ER  trägt  dich!  Die  Predigt  traf  ihn  mitten ins Herz. Ein Erwachen? Vielleicht. Aber da war auch wieder ein Vater im Spiel, dem er gefallen wollte. Fortan zog er sich sonntags seinen einzigen Anzug an und besuchte die Messe.James  wurde  Anführer  evangelischer  Jugendverbände.   Einige   davon   hatten   sich   heimlich   bewaffnet und wurden militärisch ausgebildet. James befehligte die christlichen Milizen in Kaduna, eine Millionenstadt  im  umkämpften  Middle  Belt  Nigerias. Eines Tages spürten seine Leute den spirituellen  Lehrer  Ashafas  auf,  der  Anfrührer  der  feindlichen Milizen. Sie zerrten den alten Sufi-Weisen aus dem  Haus,  warfen  ihn  in  den  Brunnen  und  ließen  so lange dicke Steine auf ihn herabprasseln, bis er erstickte. Er hatte für Ashafa alles bedeutet. Das ist sein größter Verlust, der ihn an James bindet.

  • Den Hass, der in Muhammed Ashafa brannte, hat er geerbt. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Wie  James  hatte  auch  er  sich  im  Recht  gefühlt,  als  heldenhafter  Verteidiger  des  einzigen  wahren  Glaubens,  Allahu  akbar!  „Den  Hass,  der  damals  in  mir  brannte,  habe  ich  nicht  entwickelt“,  erinnert sich Muhammed Ashafa, „ich habe ihn geerbt. Mein  Vater  war  Geistlicher,  in  der  14.  Generation,  ein  weithin  geachteter  Mann.  Er  las  und  sprach  fließend  arabisch.“  Doch  dann  kamen  die  Briten,  und  er  wurde  zum  Analphabet  im  eigenen  Lande,  weil  er  die  Amtssprache  der  neuen  Herren  nicht  beherrschte. „Diese Kränkung ließ ihn fortan alles Westliche  verabscheuen.  Die  Kleidung,  die  Musik  und vor allem den christlichen Glauben.“

  • Imam Ashafa in seinem Haus in Kaduna. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Deshalb  weigerte  der  Vater  sich  zunächst,  Ashafa  auf  die  einzige  Schule  weit  und  breit  zu  schicken,  die  von  Methodisten  geführt  wurde.  Freunde  überredeten  ihn  schließlich.  In  der  Grundschule  lernte  er  die  Bibel  kennen,  die  er  auch  später  immer wieder studierte. Aber nur, um sie zu widerlegen.  Wie  James  wurde  er  heimlich  Milizionär,  wie  er war er ein geborener Anführer, und im gleichen Jahr,  als  James  seine  rechte  Hand  einbüßte,  verlor  Ashafa seinen Sufi-Lehrer und zwei Brüder – durch Kampfgruppen, die James befehligte.

  • Nach dem Ende des Gottesdienstes des Imams Ashafa in seiner Moschee in Kaduna. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Ein  paar  Jahre  später  wird  Ashafa  in  die  Residenz  des  Gouverneurs  eingeladen.  Es  geht  um  eine  bevorstehende  Impfkampagne  gegen  Polio.  Islamische  Verbände  hatten  geargwöhnt,  sie  diene  dazu,  ihre Leute heimlich zu sterilisieren. In einer Pause nimmt   ihn   plötzlich   der   Journalist   Idris   Musa   beiseite und führt ihn zu James. Der alte Musa legt die  Hände  der  beiden  ineinander  und  sagt:  „Ich  kenne euch, ihr seid harte Jungs. Aber euch beiden traue ich zu, in diesem Land Frieden zu stiften.“

  • Ashafa lächelt den Pastor an. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Lass  dir  jetzt  bloß  nichts  anmerken.  Lächle!  Jetzt  hab’  ich  dich,  du  Schweinehund.  Du  hast  mir  das  Liebste genommen. Die Stunde der Rache ist gekommen. Bisher konnte mir niemand verraten, wo du dich verkriechst. Aber jetzt werde ich dich in deinem Loch ausfindig machen. Und dann bringe ich dich um.

    Ashafa lächelt den Pastor an.

  • Ashafa und James im Gespräch. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Ich   hasse   diesen   Typ   mit   Zauselbart.   Der   sieht   ja  schon  aus  wie  ein  Fundamentalist.  Du  falsche  Schlange! Mit deiner gespielten Freundlichkeit wickelst  du  mich  nicht  ein.  Du  willst  mich  doch  nur  ausspionieren.  Wenn  du  weißt,  wo  ich  nachts  schlafe,  schickst   du   mir   deine   Männer.   Die   hacken   mir   erst  den  anderen  Arm  ab,  bevor  sie  mir  die  Kehle  durchschneiden.

    Und James lächelt zurück.

  • Imam Ashafa und Pastor James Wuye im Buero des Interfaith Mediation Centre. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Ein paar Tage später sucht er James in einem Kirchenbüro  auf.  Draußen  versteckten  sich  seine  Milizionäre,  bis  an  die  Zähne  bewaffnet.  „Wenn  ich  in  einer  halben  Stunde  nicht  zurück  bin,  macht  ihr alles platt, verstanden?“ Doch auf dem Weg zur Kirche  geschieht  etwas.  Die  Worte  des  alten  Musa  klingen  nach.  „Ihr  beiden  könnt  den  Frieden  bringen“,  hatte  der  gesagt.  Etwas  gerät  ins  Wanken.  Statt  James  an  die  Gurgel  zu  gehen,  unterbreitet  Ashafa  ihm  einen  Vorschlag.  Eine  Debatte  solle  stattfinden,  Muslime  versus  Christen,  Koran  gegen  Bibel,  das  bessere  Argument  soll  siegen.  James  ist  perplex, willigt aber ein.

  • Ort zum Austausch. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Ein Jahr lang suchen sie einen Ort für den Abtausch. Alle Hotels lehnen ab. Einzig das British Council ist so  mutig,  einen  Saal  anzubieten.  James  hat  Angst  vor einem Hinterhalt. Aber feige will er auch nicht sein. Wenn  dieser  Ashafa  sich  traut,  eine  Kirche  zu  betreten,  um  mit  mir  zu  sprechen,  dann  kann  ich  jetzt nicht kneifen. Aber wir sollten uns für alle Fälle rüsten. Die Messer werden unter Burnussen und in Aktentaschen  versteckt,  auf  beiden  Seiten.  Doch  das Eis taut langsam. „Ich war berührt davon, dass Christen  wie  James  unsere  Trauer  über  die  Toten  und  Verwundeten  nachempfinden  konnten“,  erinnert  sich  Ashafa.  Mitgefühl  war  das  letzte,  was  er  von seinen Gegnern erwartete.

  • James und Ashafa im Gespräch. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Die   beiden   beginnen,   die   ersten   interreligiösen   Workshops  zu  organisieren.  Reisen  gemeinsam  zu  Kursen für Konfliktlöser nach Südafrika und in die Vereinigten  Staaten.  Schlafen  oft  im  gleichen  Zimmer. Ihre Gastgeber sind entzückt: Zwei, die der Rache  abgeschworen  haben,  Erzfeinde,  die  Freunde  wurden – dieses Wunder will jeder gerne glauben. Doch  die  Wirklichkeit  sieht  anders  aus.  Jahrelang  plagen James Mordgedanken. Immer wieder bricht nachts  ein  Schmerz  auf,  tiefer  als  der  Schnitt,  der  seinen Arm abtrennte.

  • Drei Jahre lang plagten ihn nachts Anfälle ohnmächtiger Wut. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Drei  Jahre  lang  plagten  ihn  nachts  Anfälle  ohnmächtiger  Wut,  gefolgt  von  Mordgedanken.  Eines  Tages  begegnete  er  Pastor  Ina  Omakwu,  den  er  als  weisen  Mann  verehrte.  Der  Geistliche  sprach  ihn  nach  einem  Gottesdienst  an:  „James,  ich  weiß  genau,  wie  es  in  deinem  Inneren  aussieht.  Du  bist  vergiftet  von  Hass.  Aber  wenn  du  Muslime  für  den  christlichen Glauben gewinnen willst, dann musst du  deine  Liebe  für  sie  entdecken.  Du  kannst  nicht  jemandem  predigen,  den  du  verabscheust!“  Und  damit ließ er ihn stehen.

    Es  ist,  als  ob  ein  Blitz  einschlägt.  Er  zerstört  etwas.  Und  er  erhellt  etwas.  Wie  konnte  ich  so  verbohrt  sein? Ich kann die Liebe ja spüren. Wie gütig Ashafas Augen immer schauen! Es tut so gut, diesen tausendmal durchgekauten Groll loszulassen. Ich fühle mich so leicht.

  • Fürbitte-Gottesdienst mit Ashafa für eine Gestorbene in Kaduna. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Auch Ashafa musste Gewohntes aufgeben, um die letzten   und   entscheidenden   Schritte   auf   James   zugehen zu können. Wie bei James war es eine Predigt,  die  Ashafa  für  das  Neue  öffnete.  „Der  Imam  sprach  darüber,  wie  man  Ignoranz  durch  Wissen  heilt,  Rache  durch  Vergebung.  Wie  man  seinen  Feind  dadurch  besiegt,  dass  man  ihn  zum  Freund  macht. Nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe.“ Ashafa  wusste  mit  einem  Mal,  dass  er  bereit  war,  seinem Feind zu verzeihen, ganz und gar.

  • 22 Religionsführer unterzeichneten die Erklärung von Alexandria. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Sie kamen im Jahr 2002 auf die Idee, die „Erklärung von  Alexandria“,  unterzeichnet  von  Religionsführern  aus  der  ganzen  Welt,  als  Vorlage  zu  nehmen  und   auf   die   Situation   in   Kaduna   anzupassen.   Tatsächlich unterschrieben 22 hohe Geistliche beider Lager das Dokument. Sie verzichteten darin auf Hasspredigten  und  gründeten  ein  gemeinsames  Komitee   als   Frühwarnsystem   für   Konflikte.   Seit   acht Jahren hält der Religionsfriede nun schon. Die Geschäfte  in  der  Stadt  laufen  wieder.  Abends  flanieren Jugendliche, die als Kinder noch verschreckt die  Unruhen  erlebt  haben,  am  Kaduna-Fluss  entlang und sitzen schäkernd unter Flammenbäumen mit  orangeroten  Blüten.  Sie  genießen  die  Früchte  des  Friedens.  Nun  wollen  Pastor  und  Imam  ihre  Erfolge  auf  andere  Konfliktherde  im  Middle  Belt  übertragen.

  • James steht auf einem staubigen Platz in Dogo Na-hawa. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    James steht auf einem staubigen Platz in Dogo Nahawa, ein Weiler in der Nähe von Jos. Es ist früher Vormittag, die Sonne brennt senkrecht auf die Versammelten  herab,  aber  das  ist  nicht  der  einzige  Grund, warum der Pastor schwitzt. Er ist unsicher. Was soll er den Menschen sagen, Christen vom Volk Berome, die ihn erwartungsvoll begrüßen? In ihren Gesichtern  kann  er  lesen,  dass  sie  durch  die  Hölle  gegangen  sind,  vor  kurzem  erst.  Kann  er  hier,  wo  sie  die  Leichen  in  langen  Reihen  in  den  Staub  gelegt  hatten,  notdürftig  mit  Tüchern  bedeckt,  kann  er an diesem Alptraumort von Vergebung sprechen?

  • Mehrere Hundert Christen wurden getötet. Die Überlebenden zeigen ihre Wunden. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Es  war  am  7.  März  2010,  nachts  um  halb  vier,  als  Gewehrschüsse  die  Dorfbewohner  aus  dem  Schlaf  rissen.  Erschreckt  rannten  sie  aus  ihren  Lehmhäusern,  bei  vielen  loderten  die  Strohdächer  schon  in  hohen Flammen. Überall in den Gassen die Schatten der Bewaffneten. Allahu akbar, schrien sie, und hackten mit Schwertern und Sicheln auf alle ein. In weniger als drei Stunden metzelten sie 500 Berome nieder.  Deshalb  ist  Ashafa  zurückgeblieben.  Derzeit kann sich kein Muslim in Dogo Nahawa blicken lassen. Kann James die Überlebenden bitten, ihren Feinden zu verzeihen?  

  • Mehrere Hundert Christen wurden getötet. Eine Überlebende. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Kann er das von einer Frau wie Pauline verlangen, die im Schatten eines Mangobaums sitzt und weint? Das Gesicht der 40jährigen ist grau. Sie hat viel Blut verloren.  „Ein  Wunder,  dass  ich  überlebt  habe“,  sagt  sie,  langsam,  wie  in  Trance,  ihre  Stimme  nur  ein Hauchen. Über ihren Hinterkopf zieht sich eine 20 Zentimeter lange, rotgeränderte Narbe. Drei Finger  hat  sie  unter  Machetenhieben  verloren,  ihre  Kinder sind im Haus verbrannt. Einer nach dem an-deren haben die Dorfbewohner dem Pastor ihr Leid anvertraut.  Jetzt  sind  sie  still.  Alle  Augen  richten  sich  auf  ihn.  James  wendet  sich  einen  kurzen  Moment ab, er wischt sich die Tränen aus den Augen.

  • Der Pastor spricht von Liebe und Vergebung. Sie hören zu. Niemand widerspricht. © Foto: Ulf Reinhardt für Peace Counts

    Schließlich spricht er, leise, aber mit fester Stimme: „Schaut euch diese Prothese an. Wie lange habe ich damit gehadert. Ich wollte, dass jemand dafür büßt. Das hat mich zum Gefangenen gemacht. Viele Jahre lang. Aber heute bin ich frei. Und warum? Weil ich die Rache loslassen konnte. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Kreislauf von Gewalt und Rache – zu vergeben.  Tut  es,  aus  Liebe  zu  euch  selbst!“  Sie  hören zu. Niemand widerspricht. Dieser Pastor hat etwas  geschafft,  was  noch  vor  ihnen  liegt,  etwas,  wofür sie Gottes Beistand brauchen. Einer beginnt ein  Gebet,  Praise  the  Lord,  andere  fallen  ein,  Hallelujah, sie beten mit Inbrunst. Aber niemand lächelt dabei.

Nigeria's Imam and Pastor: Faith at the Front (YouTube)

The Imam and the Pastor (YouTube)

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Was ist die „Peace Counts"-Ausstellung?

Frieden ist spannend, zeigt das  Projekt Peace Counts. Wie überwinden Menschen persönliche Grenzen, um auf ihre Feinde zuzugehen? Warum gelingt manchen Jugendlichen der Ausstieg aus bewaffneten, radikalen Gruppen? Wo treten Frauen für ein Ende der Gewalt ein? Was können Fußball, Radio, Tanz und Streit zum Frieden beitragen? Die Reportagen lenken den Blick auf kreative Lösungen und gelungene Kommunikation in Konflikten. Die Roll-up Ausstellung zeigt eine Auswahl der besten Reportagen erfolgreicher Projekte aus rund 30 Konfliktregionen der Welt.

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Workshop – jetzt auch online!

Bei Interesse bietet die Servicestelle begleitende friedenspädagogische Workshops an. Diese richten sich insbesondere an Schüler:innen und Lehrkräfte, können aber auch von weiteren interessierten Zielgruppen angefragt werden. Die Workshops finden entweder digital oder als Präsenzveranstaltung statt.  Basierend auf Lernen nach Vorbildern und Biographien wird das Engagement von Menschen aus Konfliktregionen rund um die Welt besprochen, die mit kreativen zivilen und gewaltfreien Methoden Frieden im Kleinen und Großen schaffen.

Was beinhaltet der Workshop`? Welche  technischen Voraussetzungen werden vorausgesetzt?  Wie kann man sich anmelden?

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